WEST-ALPENFEELING 14.04.-18.04.05


Donnerstag, 14.04.05

Eigentlich sollte es eine ganz normale Aklimatisierungstour werden. Die letzte vor der Haute Route, um nicht die wertvollen, roten Blutkörperchen während untätiger Zeiten seit der Dreiländerspitze einzubüßen.



Also irgendwas Westalpenmäßiges. Mmmhh... Castor, Pollux oder doch lieber Richtung Signalkuppe, da steht ja ne Menge rum und irgendwas wird schon klappen. 

Wir hatten ja Freitag und Samstag eingeplant.

Aber nicht von Zermatt , sondern von Alagna im italienischen Valsésia aus. 



Vorteil: keine unnötige und teure Nacht auf der Monte Rosa Hütte und mehr Gipfelmöglichkeiten. Der Wetterbericht sah zwar nicht so toll aus, aber sooo mies war es nun auch wieder nicht.

Die Fahrt nach Alagna ist langwierig über den San Bernhardino ins Tessin und dann Richtung Milano und das ganz malerische Valsésia rauf (ca. 50km). Alagna ist mal ein Beispiel für einen gesunden und hübschen Wintersportort. Liebevoll restaurierte alte Walserhäuser und kaum moderne Infrastruktur und vor allem überschaubar klein.





Freitag 15.04.05

Am Freitag morgen ging es um 08:45 hoch mit der ersten Bahn bis Punta Indren (3.260). Vor uns - wer konnte das ahnen - eine Horde Freeriderennläufer, die uns an der letzten Seilbahn mehr als eine Stunde Zeit gekostet hatte. Es war inzwischen 11:00 also viel zu spät, um irgendwas Gescheites noch an diesem Tag zu vollbringen. 

Dann gehen wir eben nur bis Rifugio Mantova oder Gnifetti und sehen zu, dass wir am nächsten Tag noch auf die Vincentpyramide oder das Balmenhorn kommen.

Mittlerweile hatte sich der Himmel gut zugezogen, so dass Orientierung und Karte gefragt waren. Aber das kann man ja nicht genug üben. Erster Verhauer, zu hoch an einem Felsband angesetzt, das immer schmaler und auf Skiern nicht besonders gut zu begehen war. Also runter mit den Brettern, die sowieso immer abrutschten und durch tiefen grundlosen Schnee zu Fuß gestapft mit Skiern und Stöcken in der Hand. 

Auf der richtigen Höhe angekommen, stand uns ein steiler Aufstieg zu einer Scharte bevor, der nur in ähnlich zeitraubender Manier genommen werden mußte. Es wurde immer klarer, daß uns die Zeit davonlief. Also beschlossen wir, dass wir heute nur noch bis zum Rifugio Mantova kommen. Der weitere Weg verlief über eine recht breite Trasse, jedoch vom Rifugio keine Spur. Ein Blick rückwärts. Plötzlich machte es kurz auf und das Rifugio erschien in voller Schönheit auf einem Felsrücken. Und schon war es wieder weg, aber wohin. Kehrt gemacht und rückwärts gesucht. Das Ding liegt auf einer Höhe von 3.492m und da steigen wir jetzt erst mal auf Höhe auf. Wenn nur die Sicht nicht immer mieser geworden wäre. Teilweise jetzt komplettes White out. Kein Gefühl mehr für das Gelände, war das steil oder nicht? Wumm.....!!!!! Schnell weg hier.

Das Rifugio war immer noch nicht in Sicht. Ich erinnerte mich an ein paar markante Felsen, über denen ich es ausgemacht hatte. Dort angekommen: nichts. Ah.... ein Blick nach oben und dort stand es. Kurze Diskussion welcher Weg zu wählen sei. Die Rinne rechts schien nicht sehr lawinensicher und vielleicht -auch weil es sportlich war-, haben wir den Weg über den tiefverschneiten Blockgrat gewählt. Wie tief verschneit dieser Grat war, sollten wir bald merken. Nämlich grundlos tief: das heißt, die Füße konnten wühlen, wie sie wollten, es kam einfach kein Grund. Immer wieder Schnee unter den Füßen ansammeln und festreten, jedoch ohne Gewähr, dass die Stufe hält. Ab und zu ein paar plattige und rutschige Felsen unter dem Schnee, die den Anstieg auch nicht einfacher machten. Alles in allem haben wir für die restlichen 60m fast 3 Stunden gebraucht, bei abwechselndem Spuren von 10m. Auf dem Rücken, der Rucksack bepackt für eine Übernachtung im Winterraum (man weiß ja nie, ob die Hütten wirklich bewirtschaftet sind) und in der Hand die Skier und Stöcke. 

Rekordzeit!!!

Puh, endlich oben angekommen. Wo ist den nun der Winterraum, ach gehen wir erst mal auf die Hütte zu. Hurra, die Tür war nicht versperrt und drinnen in der Küche saßen der Hüttenwirt und jugendlicher Gesell, die uns, wie von einem anderen Stern anstarrten, vor allem als wir erzählt haben, daß wir den Blockgrat hochgekommen sind.

Wir bekamen nettes Lager für uns, denn die Hütte schien nicht überbucht zu sein. Nun brach es herein, das gefürchtete Westalpenunwetter mit prächtigen Sturmböen, die einem den Atem nahmen und endlosen Schneesturm. Das sah nicht gut aus.... 

Aber morgen wird es bestimmt besser.

Samstag, 16.04.05

06:30 Wecken und aus dem Fenster gucken. Es sah überhaupt nicht besser aus. Die Tür der Hütte war halb zu geweht und die Fenster auch immer mehr. An weiteren Aufstieg war nicht zu denken, aber an einen Abstieg durch mittlerweile 60cm Neuschnee auf schlechtem Untergrund (also bestimmt Lawinenstufe 4) auch nicht. 



Rifugio Mantova

Der Hüttenwirt riet zum Bleiben. Zumal auch die Bahnen wegen des starken Windes nicht liefen und es damit keine Möglichkeit gab, nach Alagna herunterzukommen. Fragte sich nur wie lange der Aufenthalt dauern sollte? 

Es gab nun keinen Grund mehr wach zu bleiben. Bei dem Sturm kann man auch den Rest des Tages verschlafen. Gegen Mittag fiel uns noch die passende Aklimatisierungssübung ein. Den Weg zum Toilettenhäuschen freischaufeln und auch freihalten. Der Hüttenwirt meinte zwar, dass sei eine ziehmlich sinnlose Arbeit, aber Schaufelschwingen auf 3.500m ist gut für die Kondition und der Weg zum Örtchen wichtig.



Der Abend zog sich mit Mutmaßungen über die zukünftige Wetterlage und die daraus resultierenden Konsequenzen und Entscheidungen hin. Also hofften wir auf den Sonntag. Es war mittlerweile nur noch von geordnetem Rückzug die Rede.


Gegen 17:30 zog es dann tatsächlich mal für 1 Stunde frei.

Rifugio Gnifetti und Vincentpyramide

Blick von der Hütte in Richtung Gressoney


Sonntag 17.04.05

Eine schlaflose Nacht mit Horrorvorstellungen von Lawinen. Das Gelände abwärts sagte mir nicht zu. Und schon gar nicht bei schlechter bis 0 Sicht.

06:30 Wecken und aus dem Fenster schauen. Das gleiche Bild wie die Tage zuvor.

Der Hüttenwirt informierte uns noch schnell, dass alle Bahnen wegen Lawinengefahr den Betrieb eingestellt hätten und eine Wetterbesserung nicht in Aussicht wäre.

Nein, wir wollen hier nicht auf den Sommer warten. Eine Woche auf der Hütte zum Rumvegetieren verurteilt sein; das halte ich nicht aus. So langsam zeichnete sich bei mir ein Hüttenkoller ab. Mein Begleiter nahm es wesentlich gelassener.

Nun zog der sehr besorgte Hüttenwirt (wir können ihn nur als sehr umsichtig und engagiert loben) das letzte Ass aus dem Ärmel: Ein Heli !!!???

Ähm.... Pagare???? Ich dachte schon über den nächsten Kleinkredit beim Banker nach. Nein, nein das ist hier gratuito, ein Service der Provinz, wenn man von Hütten längerfristig nicht mehr runterkommt. Wir konnten es kaum glauben. Das gibt es doch gar nicht.

Aber der Heli kann nur landen, wenn die Sicht frei ist und das war sie gewiß nicht. Aber nichtsdestotrotz lieber das ganze Geraffel zusammenpacken und abmarschbereit sein.

Ein Blick auf das Barometer im Abstand von 10 Minuten und danach aus dem Fenster. Klart das endlich auf???? So wie gestern. Keine Spur. Lähmende Langeweile machte sich breit. Selbst das vorher so geschätzte Schneeschaufeln konnte uns nicht mehr begeistern. Mein Begleiter zog ein Nickerchen auf der unbequemen Bank vor. Und ich las den Westalpenführer durch. Aber auch das war irgendwann mal öde. Wie ich dieses Gefühl des Machtlosigkeit hasse. Keinen Einfluß auf das Geschehen nehmen zu können. Aber nur ruhig Blut, dann bleiben wir eben bis Freitag. Nein und nochmal nein. 

Um 17:30 kam Bewegung in die Sache. Der Heli meldete sich noch einmal. Wir dachten: na, der meldet sich jetzt für den Tag ganz ab. Weit gefehlt. Der Hüttenwirt kam aufgeregt an und teilte uns mit, dass jetzt gerade eine Gruppe vom Mont Blanc weggeflogen würde und danach käme er zu uns hoch. Ungläubiges Staunen. Wo zieht es denn hier frei?? Na, wartet es ab. Am Mont Blanc ist schon schönes Wetter. 




Es klart auf....


Und tatsächlich, wie von Geisterhand verschwanden die Wolken und die prachtvolle Szenerie der Westalpen tauchte vor uns auf. Allein die Sicht ist jede Strapaze wert. 


Schnell noch ein paar Fotos geschossen. Nun ging es fix. Die nächste Nachricht. In 10 Minuten ist der Heli da. Aufregung meinerseits. Wer wird schon mal mit nem Heli ausgeflogen. Es folgten letzte Verhaltensmaßregeln für Helis und dann hörten wir den Teppichklopfer auch schon. Eine BELUH1D. Große Erleichterung machte sich in mir breit. Endlich hier raus. 

Eine undurchdringliche Schneestaubwolke überzog uns und nun schnell hinein. Mehr gekrochen als gegangen. Ein Helfer warf alles in den Heli. Aber das Ding war zu schwer zum Abheben. (Ich fühlte mich unschuldig, ich hatte spartanisch da oben gelebt) Also mußten die zwei Helfer nebst Gepäck wieder raus.

Der Flug bis Gressoney war atemberaubend. Entlang steiler Felswände und Rinnen. Leider viel zu kurz. Ich hab mich nicht getraut, die Kamera auszupacken. Sonst unterstellt einem das Helipersonal noch Sensationsgehabe. Aber die Bilder und Eindrücke werden sich sicher fest auf der Hirnfestplatte einbrennen. So was erlebt man sicher nur einmal. Oder....???? 

So, nun waren wir in Gressoney. Ortszeit 18:30. Aber unser Auto stand in Alagna. Und wie kommen wir dahin. Wir gingen zunächst mal in den kleinen Ort auf Peilung und quatschten irgendeinen zuvorkommend aussehenden Einheimischen an. Der legte auch sofort mit seinem Handy und der Hilfe seiner Gattin los, und telefonierte 4 Leute ab, die als potentielle Taxifahrer in Frage kamen. Hurra, es fand sich jemand für 200 Oironen. Schluck... Aber es waren tatsächlich 200 km und 3 Stunden. Die Helilandung sprach sich im Dorf rum. Ruck, zuck hatten wir in der Bar (Wartehäuschen) neben unserem bestellten Bier noch einen Teller gratis mit Schinkenbrot, Popocorn usw. vor uns stehen zur Stärkung der Geretteten. 


Geschafft...


Der Taxifahrer war einfach ein Schatz. Er nahm es gelassen, radebrechte schön mit mir auf italienisch und gab während einer Pinkelpause sogar noch ein Bier aus. Ganz zu schweigen, dass er seine Abendpizza noch mit mir teilen wollte.

Um 22:30 waren wir dann wieder in Alagna am Auto und nun hieß es schnell umpacken und noch heim. Irgendwie haben wir auch die ganzen Autobahnkreuze geschafft, ohne in Turin oder Mailand zu landen. Und auch die Gurkerei von Varese bis Lugano ist ohne großartige Verhauer vonstatten gegangen. Ab Lugano fährt das Auto allein, weil es den Weg kennt. Noch um 2:30 eine kurze Pause in Bellinzona Süd mit dem Gipfel der Perversion, den man sich um diese Zeit gönnen kann: Eine fettige, alte Bratwurst.

Es herrschte munteres Schneetreiben am Bernhardino und um 04:00 war ich dann platt. 2 Stunden Schlaf an der Raststätte Heidiland bei Bad Ragaz und dann über Lindau nach Hause. Meine Familie konnte es kaum glauben, dass ich wieder da war. 

Fazit1: Westalpen sind anders als Ostalpen !!!! (das wußten wir vorher schon, aber 
nun haben wir es auch live erlebt)

Fazit2: Italiener sind die besseren Europäer. Niemals zuvor habe ich so eine
Gastfreundschaft und Engagement in den Bergen erlebt.
Unglaublich, dass es so was noch gibt. Da kann sich Germania eine fette 
Scheibe von abschneiden.

Also: Viva bella Italia
Warum immer nur die Schweizer Seite?


Copyright (c) 2005 Sektion-Alpen.Net