Firn und Eis in der Brenta - Cima Tosa (3.173 m)


Dieses Mal hat es mich erwischt, ich kann mich nicht drücken und muss nun mein Bestes geben, um einen Bericht zu schreiben …

Nach langem Hin und Her konnte ich „mich“ davon überzeugen, mit Alex u Climby in die Brenta zu fahren. Eisklettern sollte es dieses Mal sein - eine ziemlich lange Rinne, aber, so Alex’ Worte: „Das schaffst Du!“ Na ja, wenn er das sagt, dann fahre ich mit.

© Nordlichtangel 2007

Da die Entscheidung wirklich erst in letzter Minute fiel, musste das Rucksackpacken ziemlich fix über die Bühne gehen. Es gab ja eine Ausrüstungsliste, damit dürfte nix schief gehen.
Unterbringung im Winterraum- also Selbstverpflegung … und der ganze Eiskrempel.

Donnerstagmorgen um 9 Uhr ging es los. Wir hatten alle Zeit der Welt, so fuhren wir vom Regen begleitet, ohne Hetze der Sonne entgegen, so dachten wir.
Auf dem Parkplatz angekommen, wurde es spannend. Die Rucksäcke wurden für den Abmarsch fertig gemacht. Erstmal alles auspacken … wer nimmt was mit?
Die Aufteilung war schnell gemacht. Alex hatte kiloweise Eisen dabei, Climby literweise Getränke (unter anderem ein 5 Liter Fass Weißbier) und ich hatte die würdevolle Aufgabe, die Seile sicher nach oben zu bringen.
„Boh, Climby, Dein Rucksack ist aber groß?!“ Darauf erzählte er mir irgendwas von einem Schlafsack. WIE???? Schlafsack??? Davon stand nix auf der Ausrüstungsliste. Tolle Wurst, ich hatte meinen Seidenschlafsack dabei … na ja, schick ist er, aber warm?

Die Rucksäcke waren arg schwer, aber voller Elan stiegen wir auf zur Hütte. Auch der später einsetzende Regen konnte uns nicht abschrecken. Arge Gedanken machte ich mir darüber, wie ich wohl die Nächte mit meinem schicken Schlafsack erlebe. Ich kann nur hoffen, dass meine zwei Begleiter genug Wärme abgeben oder dass die Hütte voller heißer italienischer Burschen ist.

© Nordlichtangel 2007

Weit gefehlt…ein österreichisches Pärchen hatte bereits, ebenfalls mit warmen Schlafsäcken, ihr Lager bezogen.

© Nordlichtangel 2007

Vor uns lag die „Canalone di Tosa“ in ihrer vollen Länge und „Schönheit“. Eine beeindruckende Rinne.

© Nordlichtangel 2007

„Oh, je, worauf hab ich mich denn hier eingelassen?“

Es ging früh ins Bett, um 6 Uhr war am nächsten Morgen der Abmarsch angesagt. Bei mir wollte der Schlaf nicht so wirklich kommen. Auch die sechs schweren Pferdedecken gaben kaum Wärme.
Mitten in der Nacht ging ein Sturm los, bei dem an Schlaf schon gar nicht mehr zu denken war. Noch nie zuvor hatte ich in einer Hütte Angst, aber die Böen waren so heftig, dass ich befürchtete, das Dach wäre jeden Moment fort. Irgendwann fiel auch ich in einen unruhigen Schlaf … und träumte von steilen Eisrinnen.

Um 6 Uhr waren wir zum Abmarsch bereit. Eine Stunde bis zum Einstieg. Um 1 Uhr möchte Alex die Rinne verlassen haben.
Wir tapsen gemächlich los. Meine Begleiter sagen kaum ein Wort. Ob sie wohl auch soviel Respekt vor der Rinne haben wie ich oder sind sie einfach nur „in sich gekehrt“?
Alex vorne weg, dahinter Climby, ich hinten dran. Schritt für Schritt nähern wir uns der Rinne. Wir steigen hoch- alles noch im grünen Bereich.

© Nordlichtangel 2007

Irgendwann hält Climby an. Ihm geht es nicht gut, er möchte umdrehen. Ich versuche noch, ihn zu überreden, doch weiter mit zu gehen.
„So schlimm wird es doch nicht werden, die 600 Hm haben wir doch fix!“
Aber Climby ließ sich nicht beirren, er kehrte um.
Nun waren nur noch Alex u ich. Fix gingen wir weiter.
Wir seilten uns an und mit nur zwei Seillängen hatten wir, Alex im Vorstieg, die Schlüsselstelle - blankes Eis, 60 Grad steil - überwunden.
Jetzt sah die Rinne ziemlich harmlos aus. Aber war sie das? Sie war lang, verdammt lang! Wir gingen gesichert weiter. Das Pärchen vor uns erobert die Rinne ohne Seil, so dass wir sie bald nicht mehr sehen.
Ungefähr in der Mitte scheint es flacher zu werden. Nun bin ich auch mutig und die Seile verschwinden im Rucksack.
Aber nicht lange. Ich merke, die Steilheit zerrt an meinen Nerven. Mit jedem Schritt hab ich Angst, weg zu rutschen, eigentlich unbegründet. Ich bitte Alex, eine Eisschraube zu setzen, damit ich in „Sicherheit“ bin. Aber so einfach geht das nicht. Es liegt viel Schnee.
Wir kramen die Seile wieder aus den Rucksäcken, mit flinken Händen, trotzdem Ruhe ausstrahlend, hat Alex mich wieder am Seil. So gehen wir gesichert weiter. Auch ich weiß, dass das Sichern ungemein viel Zeit kostet, aber das ist jetzt egal.
Plötzlich schreit Alex: „Stein!“ Ich springe, Gott sei Dank am Seil, zur Seite u der Stein, eine richtige Klamotte pfeift ca. 10 cm an meinem Bein vorbei. Boh, das war knapp!
Die Rinne will kein Ende nehmen. Langsam wird es verdammt kalt. Die Handschuhe sind, wie auch meine Finger, inzwischen steif gefroren. Auch das Seil ist nass u beginnt zu gefrieren, so dass das Sichern immer schwerer fällt. Die Karabiner wollen auch nicht mehr so richtig. Jetzt nicht jammern, wir wollen raus aus der Rinne. Mein ganzer Körper ist inzwischen komplett ausgekühlt, mir schlottern die Beine. Man nur gut, dass ich angeseilt bin. Wir kämpfen uns weiter nach oben, Alex immer voran, was auch an seinen Kräften zerrt. Um 16.30 Uhr steigen wir endlich aus der Rinne.

Unser Gipfel

© Nordlichtangel 2007

Beide sind wir überglücklich, genießen noch ein wenig den Ausblick, machen ein paar Fotos, endlich einen Schluck trinken, einen halben Energieriegel reinschieben u dann geht es weiter. Fünf Stunden Abstieg liegen noch vor uns. Außerdem stand in der Tourenbeschreibung, dass der Abstieg und die Abseilstelle schwer zu finden sein würde. Schneller als gedacht, fanden wir den Weg. Ziemlich zügig kraxelten wir über den Fels ab, die Steinmänner zeigten uns den Weg. Nur an der Abseilstelle verloren wir viel Zeit. Aber egal, eine SAN-Tour endet eh immer im Dunkeln und die Stirnlampen haben wir ja dabei? „Nicht wahr, Alex?“
Nachdem wir 60 Meter abgeseilt haben, ist es fast geschafft. Wir sind schon ziemlich erledigt, überlegen, ob wir eventuell die schweren Rucksäcke an der Pedrotti-e-Tosa Hütte lassen und sie am nächsten Tag holen. Aber als wir die Hütte erreichen, wissen wir beide … Wir schaffen den Rest auch mit den Rucksäcken.
Und dann sahen wir ihn. Unser kranker Climby kommt uns entgegen u begrüßt uns mit “Wollt Ihr Cola, Radler, Weißbier, Wasser, Speck, Brot?“
Oh, ja, wir wollten.
Vor lauter Aufregung hatten wir an Essen und Trinken arg gespart.

Es war bereits dunkel als wir an der Hütte ankamen. Unser krankes Huhn verschwand gleich in seinen warmen Schlafsack, Alex u ich ließen den Tag noch einmal Revue passieren … u wir waren uns einig: Es war eine tolle u doch ziemlich anstrengende Tour!

Am nächsten Tag haben wir es uns so richtig gut gehen lassen … ausschlafen, in der Sonne frühstücken (waschen fiel wegen Wassermangel aus), ratschen, ausruhen.

Im Laufe des Tages haben wir uns noch ein wenig die Beine vertreten, hoch zur Alimonta-Hütte, dort relaxen u wieder zurück.

© Nordlichtangel 2007

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Abends kochte uns Climby, dem es schon ein wenig besser ging, ein köstliches Mahl – chinesische Tütensuppe … zum Nachtisch gab es Weißbier.

© Nordlichtangel 2007

© Nordlichtangel 2007

In dieser Nacht sollte mir nicht kalt sein, denn es kamen viele neue „Rinneneroberer“!

Über die Leiter kommt man offiziell in die Hütte

© Nordlichtangel 2007

Das Fenster wurde als inoffizieller Eingang benutzt.

Und beim Sonnenuntergang erfuhr ich alles, was Männer so dachten …

© Nordlichtangel 2007

Mädels, dieser Welt, ich kann Euch versichern, ich kenne jetzt alle frauenfeindlichen Witze, bin genau über „Bunnies“ u ihre Wichtigkeit aufgeklärt und kenne auch den Zusammenhang zwischen einem Berg, den man einmal überstiegen hat und einer Frau … Meine Schamesröte konnte gar nicht mehr weichen.
Außerdem weiß ich jetzt auch, wie man ein leeres Fass platt macht …

Leider gibt es kein Bild von diesem Szenario.

Vor dem Zubettgehen besuchen wir noch einmal die wunderschöne Kapelle

© Nordlichtangel 2007

Abreisetag am Sonntag. Alle Sachen wieder zusammen suchen. Warum sind unsere Rucksäcke eigentlich immer noch so voll und schwer??? Ach ja, wir haben unsere Lebensmittel kaum aufgebraucht, dafür die vom Climby. (cleverer Bursche)

© Nordlichtangel 2007

Kurz vor dem Abstieg ein letztes Foto

© Nordlichtangel 2007

Wir steigen ab. In 1 1/2 Std. soll alles überstanden und wir am Parkplatz sein. Climby, dem es besser zu gehen scheint, schlägt vor, einen anderen Weg hinab zu gehen. Bei dem würden wir uns den Gegenanstieg sparen.
Ja, Gott sei Dank, denn nach der Tour und dem schweren Rucksack brauche ich heute keine Anstrengung mehr. Außerdem trage ich wieder beide Seile ins Tal, wir wollen ja schließlich unser krankes Hühnchen schonen, der hat ja mit seinem warmen Schlafsack genug zu schleppen.

Ziemlich zügig geht es bergab. Ein letzter Blick auf unsere Rinne

© Nordlichtangel 2007

Aber was ist das? Warum kommt da jetzt ein Gegenanstieg?
Ja, okay, den kleinen Anstieg werde ich überleben.

Immer wieder schauen wir zurück

© Nordlichtangel 2007

Wie? Es geht weiter aufwärts? … Climby sehe ich gar nicht mehr … Ich schleiche mit dem schweren Rucksack und den schweren Beinen Schritt für Schritt nach oben.
Na, toll … 1 1/2 Std unterwegs und immer noch steigen wir bergauf. Langsam wiege ich drei Zentner, nicht nur wegen des Rucksackes.

© Nordlichtangel 2007

Immer wieder schlagen mir die Latschen ins Gesicht oder drücken mich vom Weg. Alex, hinter mir, wie immer- die Ruhe selbst, versucht, mich mit allen Mitteln aufzubauen:
„Bald haben wir es geschafft, es ist nicht mehr weit!“
Wie war das noch mit der Bergsteigerlüge Nr.1 ???

Auch dieses herrliche Bergpanorama kann mich nicht aufheitern

© Nordlichtangel 2007

Dann kommt endlich eine schöne Wiese, auf der unser Climby es sich so richtig gut gehen lässt und genüsslich auf uns wartet.

© Nordlichtangel 2007

Jetzt geht es wirklich nur noch bergab.

He, da blinkt was! Die Autos sind in Sicht. Einmal noch die Brücke überqueren und dann sind wir da.
Fürsorglich fragt mich Climby, ob er mir ein Seil abnehmen soll?
Na, mir müsste ja ’nen Fuß fehlen, mir die Blöße zu geben …

Runter mit dem schweren Rucksack. Ich springe aus den Sachen und rein in den Bach. Wasser, waschen, Abkühlung … Was für ein schönes Gefühl.

Auf dem Heimweg schwärmen wir immer noch von den schönen Tagen und verwöhnen uns noch einmal mit einem riesen Eisbecher, wohlschmeckendem Cappuccino, mördergroßen Pizzas u einem halben Schwein.

Und das nächste Mal gehen wir die Rinne ohne Seil ;-)

Ein ganz großes Dankeschön an den Alex für die tolle Tour, sein verantwortungsbewusstes, ruhiges und fürsorgliches Handeln … nach dieser Tour bin ich zwei Meter groß- vor Stolz.

Nordlichtangel

 

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