Jubiläumsgrat - 22.-23.09.2006


Freitag, 22. September 2006

Normale Menschen schlafen noch um diese Zeit. Es ist 3.00 h und wir verlassen unser Urlaubsquartier in Anras, Osttirol, um das letzte große Abenteuer in diesem Urlaub zu bestehen. In den vergangenen drei Wochen habe ich mich gut vorbereitet und die erforderliche Kondition getankt. Um 7.00 h wollen wir in Garmisch Partenkirchen sein.
Die Talstation der Zugspitzbahn erreichen wir um 6.45 h. Hier bin ich mit Ekki verabredet. Er biwakiert hier irgendwo im Gelände. Ist schon gestern angereist. Mit der ersten Bahn wollen wir hoch.

Das Wetter kann nicht schöner sein: Sonne pur und schön warm wird es werden.
Ekki und ich investieren jeder „mal eben“ 25,50 EUR für die Bergfahrt, um im Münchener Haus zu frühstücken. Anschließend wollen wir den Jubiläumgrat gehen. Eine Übernachtung in dem Höllentalhütterl (Biwakschachtel) ist einge-plant. Als wir aus der Bergstation treten, staunen wir gleich zweimal.
Das erste Mal über die wunderschöne Fernsicht. 120 km sind angegeben.
Einfach genial diese Rundumsicht. Hinein in die alpine Bergwelt bei absolut wolkenfreiem Himmel. Besser konnten wir es nicht erwischen. Das zweite Mal staunen wir über die recht ablehnende Einstellung des Personals am Münchner Haus, als wir um diese Zeit nach einem Frühstück fragen. Es ist immerhin schon nach 7.30 Uhr. Jetzt wird geputzt und kein Frühstück ausgegeben. Na dann gehen wir halt zu den Profis am Kiosk nebenan. Der putzt zwar auch grad die Tische ab, ist aber dennoch in der Lage einen Kaffee zu liefern, obwohl der Kiosk noch nicht geöffnet hat.

© Kempfer 2006

Da wir keinen Zeitdruck haben, können wir ganz gelassen starten. Erst mal richtig ankleiden: Hüftgurt, Brustgurt, etwas Material in die Schlaufen. Sonnenschutz nicht vergessen! Es kann losgehen.

Etwas versteckt liegt das Tor zum Einstieg in den Klettersteig, der mit einer kurzen Eisenleiter beginnt .Da wir grad mal da sind, gehe ich die paar Schritte zum Zugspitzgipfelkreuz und erreiche den höchsten Punkt Deutschlands. 2.962 Meter hoch über dem Meeresspiegel. Das ist ein gutes Gefühl für ein paar Augenblicke „über allem in Deutschland zu stehen“. Ekki kennt dieses Gefühl bereits und ist etwas abseits geblieben.

© Kempfer 2006

Also, jetzt beginnt das Abenteuer Jubiläumsgrat. Die ersten Minuten sind entscheidend. Wenn ich jetzt merke, dass es mir nicht gut geht, dass mir die Tiefblicke Probleme bereiten, dass die Gratpassagen zu schmal sind, dann ist es an der Zeit gleich aufzuhören. Jeder weitere Schritt macht eine Umkehr schwieriger. Ein paar kurze Momente muss ich tief durchschnaufen am Grat, wo es doch weit und steil hinunter geht. Tiefer und steiler, als ich es erwartet hatte.

© Kempfer 2006

Aber es geht mir mit jedem Schritt besser. Gut so! Ekki hat diese Tour schon vor einigen Jahren gemacht und weiss, was uns erwartet. Ich nicht.
Bald macht es richtig Spaß, hier oben zu gehen. Aufregende Blicke die steilen Felswände hinunter, wunderschöne Bergketten und erhabene Gipfel. Weit in der Ferne schnee- und gletscherbedeckte Regionen, von denen wir beide nicht sagen können, wie sie genau heißen. Ehrlich gesagt, ist es mir im Moment auch gar nicht wichtig, die Namen zu kennen. Sie hier und heute mit eigenen Augen sehen zu können, bei strahlend blauem Himmel und Sonnenschein., das brennt sich tief in die innere Festplatte ein. Alle Bilder, die später gezeigt werden, geben nur einen Bruchteil von dem wieder, was jetzt und hier passiert. Und das genießen wir.

Wir gehen ohne Seilsicherung und nehmen an den durch Stahlseile gesicherten Strecken gelegentlich das Klettersteigset zur Eigensicherung.
Die Felskletterei ist, ähnlich dem Gehen auf dem Grat, etwas gewöhnungsbedürftig, aber bis auf wenige Ausnahmen problemlos. In den Situationen, wo es schwerer wird, hilft mir die Ruhe und Gelassenheit weiter, mit der wir unterwegs sind. Dann sind wir halt etwas langsamer, suchen uns dafür die sicheren Tritte und Griffe, die wir risikolos meistern können. Es gibt keinen Zeitdruck. Schon allein deswegen, weil wir heute „nur“ bis zur Biwakschatel kommen wollen. Morgen ist der zweite Abschnitt dran.
Ein gut gewähltes Plätzchen mit toller Rundumsicht an windgeschützter Stelle, wir halten Mittagspause. Unser Trinkvorrat scheint o.k., und heute Abend schmelzen wir Schnee, um Wasser für morgen zu gewinnen. Also sitzen wir, schauen, staunen und leben auf.

© Kempfer 2006

Weiter geht’s. So gegen 16.30 h sehen wir die Biwakschachtel noch weit voraus. Es dauert noch fast eine ganze Stunde, bis wir sie erreicht haben. Aber wo sind die Schneereste, die wir schmelzen können? Immer wieder haben wir nach ihnen Ausschau gehalten in den letzte Stunden. Aber es gibt sie nicht hier droben. Ja, ganz weit unten, wo so leicht kein Hinkommen ist, sehen wir einige. Doch sie helfen uns nicht weiter.
Vorhin waren uns entgegenkommende Bergkameraden froh, als wir ihnen etwas von unserem Getränk abgaben. Sie waren schon trockengelaufen. Jetzt waren wir uns auch im Klaren darüber, dass wir ein echtes Problem haben. Nur noch einige wenige Schluck, dann ist es aus mit dem eigenen Wasser. Da hilft uns auch der Kocher nicht weiter, den Ekki tapfer über den Jubiläumsgrat trägt. Mal sehen, wie wir aus dieser Misere herauskommen.
An der Biwakschachtel treffen kurz nach uns zwei Bergsteiger aus Dresden ein. Ein Dritter kommt einige Zeit später auch noch dazu. Er ist schon fix und fertig. Sie wollen aber noch weiter und zur Knorr-Hütte absteigen. Aber dafür reicht die Zeit nach unserer Einschätzung nicht mehr, um es vor der Dunkelheit zu schaffen. Einen anderen Weg in das Tal gibt es nicht. Vor einem Abstieg durch unmarkiertes Gelände wird immer wieder gewarnt - es ist ganz einfach lebensgefährlich. Die Drei beraten lange und einigen sich darauf, auch hier zu übernachten. Die Hütte hat 6 Lagerplätze, d.h. jetzt sind 5 davon belegt. Aber es soll noch ein Ehepaar unterwegs sein, berichten die jungen Männer. Sie hatten sie überholt. Nach einiger Zeit geht einer von Ihnen dem Paar entgegen, um zu sehen, wo sie bleiben. Es dauert und wir beginnen uns etwas Sorgen zu machen aber dann kommen sie doch an. Nun sind 7 Personen im Biwak, und keiner hat Trinkreserven für den morgigen Tag. Das sieht ganz schlecht aus.

© Kempfer 2006

18.30 h Abendessen. Es ist frisch geworden, und wir lassen uns an einem windgeschützten Plätzchen nieder. So richtigen Appetit haben weder Ekki noch ich. Etwas müssen wir aber essen, um die nötige Energie für morgen zu haben. Brot, Wurst, Tunfisch - es wird nahezu trocken heruntergewürgt. Da nehmen wir den Wein zu Hilfe, von dem wir noch ein Fläschen im Rucksack haben. Lieber angesäuselt einschlafen, als durstig! Und morgen?

© Kempfer 2006

Dorothee und Usch sind inzwischen am Kreuzeck-Haus eingetroffen. Per Handy geben wir einen kurzen Bericht ab und wünschen ihnen eine gute Nacht.
Der Wassermangel ist unser aller Problem und wir wissen, dass es nicht einfach zu lösen ist, wenn überhaupt. Nach und nach kriechen alle in die Schlafsäcke. Die Tür lassen wir einen Spalt offen. Schließlich wollen wir nicht vergasen. Durch diesen Spalt sehe ich einen wunderschönen sternreichen Nachthimmel. Aber freuen kann ich mich an ihm leider nicht. Der Wassermangel geht mir durch den Kopf und bereitet Sorgen. Wenig Schlaf, viel Unruhe um mich herum. Aber Ekki scheint gut zu schlafen, wenn ich seinem anhaltenden Schnarchen Glauben schenke. Doch am nächsten Morgen dementiert er das energisch.

Samstag, 23. September 2006

Irgendwann wird es unruhig im Lager. Der neue Morgen ist da. Bevor die Sonne aufgeht, sind alle munter und auf den Beinen. Das Frühstück besteht aus Schokolade. Kekse o.ä. sind gar nicht herunterzubekommen. Es fehlt ganz einfach der nötige Speichel. Der Gaumen ist trocken. Kurz vor 7.30 h verlassen Ekki und ich die Biwakschachtel als Letzte. Wir gehen Richtung Alpspitze. Alle Anderen sind zur Zugspitze weitergegangen. Und niemand hat noch etwas zu Trinken dabei!
Ein wunderschöner Sonnenaufgang lässt uns erneut staunen. Wie erwartet strahlt die Sonne von einem wolkenlosen Himmel, und wir haben erneut einen grandiosen klaren Blick in die Berge. Nur im Voralpengebiet liegt ein Dunstschleier wie eine dichte Decke über den Niederungen. Doch das wird uns heute nicht stören. Wir haben ein ganz anderes, ernsthaftes Problem.

© Kempfer 2006

Das Frühstück beschränkt sich auf Schkolade, weil wir Bort und Kekse gar nicht herunter bekommen. Der Gaumen ist ganz trocken. Bonbons lutschen, um den Speichelfluß zu fördern. Ja, das geht gerade noch. Noch! Später auch nicht mehr.

Wir wissen, dass wir heute ganz besonders vorsichtig und sorgfältig gehen müssen. Nachlassende Kräfte und abnehmende Konzentration werden uns evtl. zu schaffen machen. Wir haben uns mental darauf eingestellt. Und wir sind ähnlich gut drauf wie gestern.

© Kempfer 2006

Nach etwa 10 Minuten bricht mir ein Felsgriff weg, den ich als belastbar und zuverlässig eingeschätzt hatte. Gut, dass daraus kein tiefer Fall wurde. Instinktiv hatte ich mich vom Fels abgedrückt und kam auf einem kleinen, ebenen Flecken zum Stehen, dicht daneben ging’s ab in die Tiefe. Uns beiden ist dabei der Schreck gehörig in die Glieder gefahren. Erst nach ein paar Minuten schlotterten meine Knie, ich brauchte jetzt eine Erholungspause. Das hätte ganz anders ausgehen können. Gott sei Dank ist es gut gegangen.
Im weiteren Weg dauert es dann doch eine ganze Weile, bis ich das immer wieder auftretende Misstrauen ablegen kann. Griffe und Tritte werden eingehender geprüft als bisher. Das macht uns natürlich langsamer. Irgendwann normalisiert sich das und es geht besser voran.

Für uns wird bald klar, dass wir die Alpspitze heute nicht „mitnehmen“ werden, sondern vorher in der Grießkarscharte durch das Grießkar absteigen werden. Unsere körperliche Verfassung lässt das wegen des Wassermangels nicht zu.

Eine rückblickende Einschätzung macht uns klar, dass der zweite Tag mit den bergsteigerisch anspruchs-volleren Passagen versehen ist. Die Seilsicherungen sind teilweise so angelegt, dass man, um sich einklinken zu können, an sehr schwierige Stellen gelangen muss. Das hätte ich mir manchmal etwas einfacher gewünscht. Aber das ist meine persönliche Einschätzung als nicht so versierter Bergsteiger. So komme ich an der hohen senk-rechten Wand an der Vollkarspsitze nur mit Mühe über den Einstieg hinweg. Das Drahtseilende pendelt frei in der Luft, und die nächste Zwischensicherung ist weit entfernt. Wer hier stürzt, schlägt ziemlich weit unten auf.
Heute kommen uns mehr Bergsteiger entgegen als gestern, klar es ist auch Samstag. Es gelingt uns, durch taktische Gesprächsführung, immer einmal wieder ein paar Schluck Wasser abzustauben. Längst nicht genug, um unser Defizit auszugleichen, aber es hilft immer ein klein wenig weiter! Ganz langsam werden wir kurz vor der Grießkarscharte. Jetzt geht’s nicht mehr bergauf. Dafür erreicht unser Durst einen Höhepunkt und die Kräfte einen Tiefpunkt. Im Abstieg durch das Grießkar sehen wir einige letzte Schneereste, die wir jetzt auch nicht mehr zur Wassergewinnung nutzen wollen.

Der Stuibensee kann doch gar nicht mehr weit sein. Diese Hoffnung bringt uns noch einmal Motivation und einen kleinen Kraftschub. Bald gibt’s Wasser! Bald können wir trinken! Nur noch eine Talstufe und um eine Ecke, dann sehen wir den Stuibensee. Die Schritte werden ganz allein schneller. Die trockenen Lippen, der trockene Gaumen, an welchem die Zunge klebt und das Sprechen schwierig macht, all das ist in wenigen Minuten vorbei. Rucksack weg, Trinkflasche raus und gleich mit den Bergschuhen in den See … Wasser schöpfen und trinken, trinken, trinken. Nicht zu hastig, aber der Körper saugt das kühle Nass einfach in sich hinein. Es ist 14.00 h.

© Kempfer 2006

Da wir jetzt auch wieder ein Handy-Netz haben, geben wir an Usch und Dorothee unseren Aufenthaltsort bekannt und wie es uns geht. Sie haben sich natürlich Gedanken und auch ein paar Sorgen gemacht.
Eine ganze Stunde nehmen wir uns Zeit, um zu regenerieren, und danach sind wir wieder richtig gut drauf. Um 15.00 Uhr starten wir zum Kreuzeck-Haus und treffen dort um 17.45 h ein. Auf dem Weg dort hin können wir uns wieder gut unterhalten, da das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes die Zungen gelöst hat.
Das Radler am Kreuzeck-Haus ist auch sehr lecker, kann aber noch nicht wirklich mit dem Wasser aus dem Stuibensee konkurrieren. Das was unschlagbar Spitze!

© Kempfer 2006

Genügend Hunger haben wir auch mitgebracht. So fällt es uns nicht wirklich schwer das Bergsteiger-essen zu verputzen. Gestärkt und mit neuer Energie versehen geben wir anschließend bei der üblichen SANioren-Fete unsere ersten Eindrücke von unserer Tour über den Jubiläumsgrat an die Personen weiter, die in den letzten 24 Stunden ganz besonders an uns dachten: Usch, Dorothee und Irmi.

© Kempfer 2006

Erwähnen möchte ich noch, dass die Bewirtung am Kreuzeck-Haus keinen Anlass zu Kritiken gab. Gelegentlich hörten wir andere Meinungen, so soll hier auch das Positive nicht verschwiegen werden.

Zum Schluss danke ich Ekki, der mit mir als Freund unterwegs war.
Dank seiner Erfahrung und Führung konnte ich auf dieser an sich großartigen Tour meine persönlichen Grenzen erweitern. Dass wir gemeinsam zukünftig immer darauf achten werden, genügend Trinkreserven mitzu-führen, versteht sich von allein. Es war eine besondere Erfahrung. Wir nehmen die vorhandenen Hinweise in Führern und Berichten zukünftig ernster, denn es gab sie.

Dieter Henne
<kempfer>

 

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