Ja, Yak ist süchtig.
Aber nicht allein, andere sind es auch.
Was ist zu tun in einem solchen Fall ?
Ganz klar : raus aus der Anonymität. Mit anderen reden, sich outen. Das Problem erkennen, sich nicht selbst belügen.
Also wendet man sich zum Beispiel an Alex.
Ein typisches Gespräch unter Junkies :
"Aye, ich brauch ne Nordwand"
"Nordwand ? Krass ! Was für eine ?"
"Schwarzer Ötztaler !?"
"Geil, will ich auch. Wo kriegt man den ?"
"Martin Busch Hütte !"
"Nix wie hin. Ich mach blau, treffen wir uns Freitag abend, 22:00 Uhr ?"
"Geht klar !"
Ja, liebes Publikum. Alex ist fast noch schlimmer dran. Nachdem er schon die Ruderhofspitze versäumt hat schmeißt er die Arbeit hin um seiner Sucht nachgeben zu können.
Und Yak kann auch nicht anders, 17:00 Uhr Abfahrt in Miesbach, 20 Uhr in Vent, es regnet in Strömen, aber was hilfts wenn die Sucht so stark ist. Mit dem Mountainbike im Regen hochradeln und schieben zur MB Hütte, klatschnaß um 10 oben, gerade noch ein Radler eingeworfen, dann ins Lager. Spaß ist das nicht aber der Drang ist halt zu stark.
Was hat man nicht alles ausprobiert um davon loszukommen ? Alex war schon bei den anonymen Kletterern, Yak hats bei den Ice watchern versucht, aber immer wieder war das Verlangen zu stark, die Beherrschung zu schwach.
Der Wecker klingelt um 4:30 Uhr, es regnet. Der Wecker klingelt nochmal um 6:00 es schneit. Hilft alles nix. Aufstehen, frühstücken und losmarschieren. Es hat ganz kurz aufgemacht, man kann Berge sehen.
Tolles Wetter, was will man mehr ?
Der Weg geht über den Marzellkamm Richtung Similaun, zweigt dann ab runter zum Marzellgletscher. Die Sicht ist praktisch gleich null und es schneit leicht. Auf dem Gletscher angekommen gibt es eine Spur, es sind schon zwei Seilschaften vor uns unterwegs, Glück muß man haben.
Solange man das Seilende noch sehen kann ist alles OK
Wir gehen langsam über den flachen Gletscher und hoffen auf Wetterbesserung. und tatsächlich es wird heller. Und zwar weil der Schneefall jetzt richtig stark wird. Die Spuren beginnen zuzuwehen und sind nur noch schwach zu erkennen, wir bewegen uns auf eine große Spaltenzone zu. Was macht der verantwortungsvolle Süchtige in dem Fall ? Klar, er setzt eine Sonnenbrille auf die sofort beschlägt damit er den Anblick der Spalten nicht ertragen muß und geht schneller.
Es schneit, warum auch nicht im Juli ?
Nach einiger Zeit läßt der Schneefall nach und die Sicht bessert sich fast schlagartig. Die hintere Schwärze kommt in Sicht. Und ist ganz schön weit hinten...
Langsam schälen sich Konturen aus dem Nebel
Wir erhöhen das Tempo und sehen zwei Leute in der Nordwand. In UNSERER Nordwand. Eigentlich unverschämt aber wir wollen mal nicht so sein. Ist ja genug für alle da, ich hoffe nur die machen nix kaputt.
Die hintere Schwärze kommt in Sicht
Wir erreichen endlich um halb 1 den Wandfuß. Inzwischen ist das Wetter recht gut geworden. Die Sonne kommt raus, blauer Himmel zeigt sich.
Wir packen das Seil zusammen und machen uns startklar. Vor uns liegen 250 Höhenmeter Nordwand, fast konstant 50 Grad steil.
Pause, abseilen und Eisgeräte rauskramen
Die Randspalte ist relativ einfach zu überwinden dann folgt schöner Trittfirn. Aber nur wenige Meter, dann kommt bereits hartes Eis. Mit beruhigendem "Tschock" fahren die Eisgeräte in die Wand, die Steigeisen greifen traumwandlerisch sicher, es ist der Moment wo die Sucht das handeln bestimmt und jeder Schlag und jeder Schritt ein Glücksmoment bedeutet. Alex ist so berauscht dass er schon nach 30m an Yak vorbeizieht, das Gesicht besteht nur noch aus einem breiten Grinsen.
Nach 50 Metern, machen sich erste Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Das Eis ist hart, das klettern anstrengend, die Waden beginnen zu schmerzen. Nach 100m wäre eigentlich der Zeitpunkt wo der Sucht Genüge getan ist, wo eine Pause guttun würde. Aber einen wirklich bequemen Stand gibt es nicht, also weiter. Bei 150m scheinen die Waden platzen zu wollen, bei 200m wird der Genuß zur Qual.
Immer kürzer werden die Abstände zwischen den Pausen, aber das Eis ist hart, kaum eine Möglichkeit zu rasten. Ein Blick nach unten jagt den Puls weiter in die Höhe. Wir sind fix und foxy und die dämliche Wand hört nicht auf sondern wird noch nen Tick steiler. Aber irgendwann ists geschafft, es wird flacher und flacher und wir stehen auf dem Grat. Der Gipfel ist nur noch 100m entfernt, reine Formsache.
Nur noch ein Spaziergang !?
Trotzdem brauchen wir noch eine Weile, die Anstrengung fordert Tribut und die Luft ist doch deutlich dünner als zu hause auf dem Sofa. Auf dem Gipfel gleitet der Blick über die Marzellspitzen zum Similaun. Das ist eine tolle Überschreitung, aber es ist zu spät dafür und wir sind auch etwas zu erschöpft, nicht ungewöhnlich nach so einem Trip wenn man zuvor noch die ganze Zeit trocken war.
Marzellspitzen und Similaun
Aber jetzt, voll iced schweben wir über den Normalweg zurück zum Marzellferner. In den Eisbrüchen sehen wir Gesichter die Felsen sind Freunde die uns zuwinken. Unser Trip dauert an...
Eisbrüche im Abstieg
Ab und an ein Blick zurück, das Wetter ist inzwischen so wie immer, der Sonnenbrand ist vorprogrammiert.
Blick zurück
Wir sind erstaunt wieviele Spalten der Gletscher hat, beim Aufstieg im Nebel haben wir das zwar bemerkt, aber jetzt mit mehr Übersicht überrascht uns doch die Abstiegsspur die mitten in eine Bruchzone hineinführt.
Trotz aller Euphorie folgen wir der Spur nicht weiter sondern queren zu einer Mulde und setzen dort unseren Abstieg vor
Der Marzellferner
Wir können uns nicht sattsehen an unserer Wand
Sicher werden sich die Leser fragen wie es zwei Helden der Berge schaffen über einen so spaltenreichen Gletscher zu gehen ohne in einen Spaltensturz zu fabrizieren ?
Die Antwort ist einfach : Gar nicht. 8)
Wir können uns nicht entsinnen jemals soviel Luft unter den Füßen gehabt zu haben, der Marzellferner ist derartig zerfetzt und der Neuschnee so frisch und dick, dass wir immer wieder in kleine lästige Splaten einbrechen.
Das bietet nur die SAN : Spaltensturz live !
Einmal schaffen wir es sogar beide gleichzeitig, aber in unterschiedlichen Spalten. Wirklich gefährlich ist das nicht, die Spalten sind nur schmal, aber lästig wirds und man muß natürlich trotzdem die ganze Zeit vorsichtig sein und jederzeit mit einem größeren Abflug rechnen.
Und noch mal der Similaun
Schließlich ist der Gletscherboden erreicht. Nochmal ein Blick zurück, dann Aufstieg über den Schutt zum Marzellkamm und wir sind wieder auf dem Similaunweg. Noch eien Stunde bis zur Hütte, ein Spezi und einen (sehr guten) Apfelstrudel, dann aufs Mountainbike und runter ins Tal gerollt. Da wir beide keine Biker sind ist die Abfahrt fast noch nervenaufreibender und vielleicht auch gefährlicher als die Eiswand.
Wir sind Vent als es fast dunkel ist, na also, geht doch !
Wir habens mal wieder getan und fühlen uns gut, Das wird ne Weile anhalten, naja, bis Donnerstag vielleicht, Freitag wird dann kribbelig und am Wochenende müssen wir dann wohl zu unserem Dealer der uns auf der Oberwalderhütte erwartet. Und wir sind gnadenlos, diesmal werden wir auch noch andere, unschuldige junge Menschen mit unserer Sucht infizieren.
Ein letzter wehmütiger Blick
Fazit : Eine endgeile Tour. Die Bedingungen in der Wand sind ausgezeichnet und bleiben das sicher auch noch eine Weile. Die Tour ist anspruchsvoll, auch der Normalweg auf die hintere Schwärze ist nicht so ganz ohne. Die meisten Spalten sind noch zu, der Getscher ist noch bis zur Zunge schneebedeckt. Wers kürzer und gemütlicher mag, geht von der Martin Busch Hütte lieber die Similaun Nordwand, wers ganz bequem mag den relativ unschwierigen Normalweg.