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Geschichten vom Scheitern Teil n+1 (Gelesen: 7847 mal)
Lamл[tm]
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Geschichten vom Scheitern Teil n+1
13.01.2010 um 14:32:14
 
Vorspiel: Hartmut, meine letzte Rettung

Eigentlich sollte es dieses Jahr eine wilde Tour geben. Doch der erste Versuch im Februar, meine Kletterkumpane durchzurufen, ging deutlich in die Hose: Manuel will es richtig wissen und war den Winter über in eine Kletterhalle gezogen. Eine Route im oberen siebten Grad sollte schon rausspringen. Das traute er mir dann (mit Recht) nicht zu. (Jeden Falls nicht länger als 20 m und auch nicht im On-Sight.) Er hat inzwischen genug Kletterkumpels gefunden und hat es nicht nötig, sich mit Pfeifen wie mir abzugeben.

Der zweite Versuch war dann der Dennis, der kurzfristig nach Südamerika ging, so dass mir nur noch 2 Monate blieben. Blieb nichts als das angedachte Valle di Orco auf folgende Jahre zu verschieben und mit Hartmut eine Woche zum gemütlichen Pläsierklettern ins Bedretto zu fahren. Hartmut mag eigentlich solche Plattenschleichereien.

Sonntag: Erstaml muss alles trocknen


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Nachdem der Schnürlregen endlich aufhörte:

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Von Alpe di Cruina queren wir

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gemütlich in einer guten Stunde

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zur Piansecco- Hütte
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und genießen den Sonnenuntergang




Montag: Blitzschlag, Steinschlag, Schweiz- Pläsier (OK, die ersten zwei lassen wir mal weg.)

Für die "Picadilly di Bedretto" sind wir extra früh aufgestanden. 2330 m hoch soll der Einstieg sein. Um uns in dem unübersichtliche Kar (Der Einstieg kann nach SP ÜBERALL sein), gehen wir an den etwas niedriger liegenden "Lago delle Pigne".


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wir sind in einem südexponierten Kessel und ich habe wg. der fortgeschrittenen Jahreszeit außer meiner gefütterten Hose nichts anderes mit.

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Auch sonst sieht es hier nicht unbedingt aus wie in 2250 m Höhe.


Wir sehen "mitten in der Wand" ein Band, die Höhe stimmt, bequem einqueren lässt es sich auch, und wenn man den Weg genau kennt und nicht so gut zu Fuß ist wie Hartmut, dann sind die 70 Minuten ab Piansecco- Hütte auch realistisch.


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Wir finden einen Standhaken und scheinbar zur Markierung abgelegte Munition.

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Sieht zwar überhaupt nicht nach unserer Tour aus, aber damit wir überhaupt noch zum klettern kommen, steigen wir mal ein.

Das Band ist nur unterbrochen, nach einer, falls nicht mit Haken versehenen, unbegehbaren Plattenquerung geht das Band erst richtig weiter. Hier wird wohl der richtige Einstieg sein.


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Wir versuchen erfolglos, zu quereren.Die Platten sind so glattgeschliffen, dass nichts geht. Schwer ist es nicht, durchgehend II-III, stellenweise IV, aber kein Haken und mit Keilen und Friends keine Chance. Trotz des scheinbar harmlosen Geländes, ein einmaliger Verlust des Gleichgewichts endet mit 150 Meter Freiflug ins oben genante, jetzt unter uns liegende Kar. Hartmut, der klettertechnisch einen guten Grad wenige Reserve hat als ich, kommt mit dieser Situation trotzdem besser zu Recht als ich. Frustriert ziehen wir uns unter Hartmuts Protest zurück, auf einem grünen Hügel gibt genießen wir die schöne Nachmittagssonne und sehen, dass dort, wo man nicht hinlaufen kann, tatsächlich ein paar Leute klettern. Einzige Erklärung: Die Tour startet weiter unten.

Wir spazieren noch etwas umher und finden tatsächlich die Einstiege. Mit der Zeichung im "Pläsier Süd" hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun. Die mittler Weile abseilenden Kletterer bestätigen uns auch dass wir die Tour gefunden haben und dass sie auch schon mal einen halben Tag lang in der Wand umhergeirrt sind.


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So viel Altschnee wie dieses Jahr ist wirklich selten. Vor allem Ende September.

Frustriert treten wir den Heimweg an.

Dienstag: Picadilly

Heute erreichen wir zielstrebig unseren Einsiteg in 2200 Meter Höhe. Smiley Nachdem Hartmut gestern so extrem gute Nerven zeigte, kann heute nichts mehr schief gehen, auch wenn es mit bis 6a (also schwere VI+ ) schon hart an seine Grenzen geht. Für mich habe ich da schon mehr Bedenken. Die Schweizer bohren zwar zuverlässig, aber auch weit.


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Durchs Grüne geht es ans Graue.

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wo wir Sonne pur genießen.

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Nach zwei Stunden sind wir dort, wo Hartmut gestern schon hingegangen wäre, wenn er nicht so einen Feigling dabei gehabt hätte.
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Nicht nur der Nacken, auch die Füße brennen.

Doch jetzt mag plötzlich der Hartmut nicht mehr. Die Haken sind ihm zu weit auseinander. Obwohl ingenieurtechnisch vorbelastet, tröstet es ihn nicht, dass das was er gestern gemacht hat, gefährlich ist und das, was wir heute machen, im Falle eines Falles nur abgeschürfte Haut zur Folge hat. Rational kann er das verstehen. Er weiß auch wie Risiko definiert ist. Beim Klettern ist er blockiert. Er krallt den Fels, als wollte er ihn mit bloßen Händen aufs halbe Volumen verdichten. Er findet einen Standplatz nicht und bastelt sich selbst was. Zwei wirklich bombig sitzende Friends. Hartmut sieht sich schon die ganze in den letzten vier Stunden zurückgelegte Strecke in ewenigen Sekunden wieder runterschießen.
So wie er am Vortag auf mich Rücksicht nahm, so muss ich das heute mit ihm tun. Rückzug trotz aller bester Verhältnisse vier Seillängen vor Ende.

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Eine Seillänge der "Headwall" darf ich noch klettern.

Wie fertig er ist, merke ich wärend der Abseilstrecke, die wirklich auf 60 Meter gebohrt ist. Von einem meiner Zwillingsseile fehlen nämlich 5 Meter. Während Hartmut gestern noch vollkommen unbefangen free solo im Dreiergelände herumturnte, habe ich jetzt ein wirkliches Problem, ihn in einem Fall die 3 Meter vom Seilende zum nächsten Abseilstand zu schwätzen. Und das ist bestenfalls Einsergelände, in dem man einen tödlichen Absturz mutwillig hervorrufen müsste.

Wieder an der Hütte angekommen, ist Hartmut nicht so geknickt wie ich. Er ist 9 schöne Seillängen geklettert, hatte schönes Wetter und warmen Fels. Was will er mehr.

Mittwoch: Grußtante

Heute ist die "Tanti auguri" ("Viele Grüße") dran - die einfachste Route im Gebiet.


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Die langen Schatten zeigen den Herbst an

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Trotzdem hat der Einstieg Sonne von Morgens an, so dass nach einer guten halben Stunde Zustieg schon der Bach angezapft wird.
Yak, willst Du das obere Drittel in groß?

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Erneut kein Wölkchen in Sicht.


Heute streckt Hartmut schon in der dritten Seillänge die Segel. Zum "Alles Vorsteigen" sind die Touren jedoch etwas lang, kaum eine Seillänge unter 50 Meter und 14 Seillängen, die auch für mich zum großen Teil nicht geschenkt sind. Doch was tun mit dem angeknabberten Tag? Ganz einfach:


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Weiterklettern so weit wir kommen, Licht und Luft genießen, keinen Stress machen.

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Dies zum Thema "Friends und Keile sind nicht erforderlich"


Hartmut kriegt noch jede Länge ein Stück Traubenzucker, dann klappt das auch mit der Konzentration beim Sichern, nach 8 weiteren Längen ist dann rein zeitlich Umkehr angesagt. Denn alles Vorsteigen dauert nicht nur länger, ich muss mich zwischenzeitlich auch mal wieder beruhigen.
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« Zuletzt geändert: 13.01.2010 um 14:47:47 von Lamл[tm] »  

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Re: Geschichten vom Scheitern Teil n+1
Antwort #1 - 13.01.2010 um 14:37:23
 
Donnerstag: Zur Rotondo

Nach zwei Tagen klettern wollen meine Arme und Nerven mal Ruhe haben, wir treten die (im einzigen auf der Hütte verfügbaren, jedoch älteren Wanderführer) unbedingt empfohlene Tour zur Rotondohütte an. Weit soll es nicht sein, wir lassen uns viel Zeit, gehen gemütlich auf den Passo Rotondo, der laut WaFü die Mitte des Weges sein soll.


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Vezweiflung, Wut & Schrecken begleiten ihren Sturz .... Ewiger Schutt begleitet unseren Schritt

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Ich will da hoch Smiley ==> 4get it


Oben angekommen, entscheiden wir, weiterzugehen. Dieser Gletscher liegt am höchsten und ist erstens total blank und zweitens schon dank Klimawandel fast weg. Das Seil und ähnliches Geraffel haben wir nämlich unten gelassen und uns vorgenommen, an dieser Stelle umzudrehen, wenn der Gletscher verdeckt wäre.


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Laut Karte Gletscher am Passo Rotondo - noch Fragen?

Die folgende eigentlich gemütliche Querung eines Schneefelds im Schatten des Pizzo Rotondo war natürlich genaus so schneefrei, und statt deren ging es zwei Stunden über Blöcke. Man kann nicht mal sagen anstrengend. Einfach nur mühsam. Und unendlich langsam. Man sieht selbst nah gewählte Etappenmarken nicht näher kommen. Das dicke Ende kommt jedoch noch. Die folgenden zwei Gletscher waren nämlich weder weg noch offen. Warum die Ende September nach 4 Tagen knalliger Sonne noch so aussahen, wissen die Götter. Auch, warum es 200 Meter höher (bei gleicher Exposition) eben nicht so aussieht, sondern so, wie man es Ende September nach 4 knallheißen Tagen erwartet. Aber es ist 16 Uhr und über alle Blöcke wieder zurück, nein, nie, niemals. Zur Hütte kann es noch max. 1 Stunde sein.


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Nie sind mir 400 Meter so lang vorgekommen. Wie verlaufen die Wasserrillen? Wo ist die Oberfläche Konkav, wo konvex? Ist die Spur vom Hartmut als getestet oder geschwächt zu betrachten? Ist noch GSM- Versorgung? Stochern. 1 Schritt. Und alle Überlegungen von vorn. Das alles ca. 600 Mal und wir sind .. am anderen Ufer des tief eingesunkenen Gletschers. Die Blöcke hier liegen lose und steil aufeinander. Einfach, aber Zeit raubend. Keine heftigen Bewegungen. Ich gehe vor und hinterlasse eine Spur der Verwüstung. Dass meine 80 Kg so einfach mal Blöcke mit 2000 Kg bewegen können. Ich glaube es nicht. Hartmut wartet etwas abseits bis ich oben bin. Er meint ich hätte gespurt. Aber auch seine Schritte bewirken "Großes".


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GröSaZ (Größte schutthalde aller Zeiten)

Wieder Oben angekommen, kommt nach wenigen Minuten die Hütte in Sicht. Der folgende Gletscher ist nicht ganz so vollgeschneit, wir erreichen den aperen Teil auf relativ kurzen Weg.


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Das ist noch nicht das Ende,

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sondern das.

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Die Armee lässt immer allen möglichen Mist überall herumliegen.

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Gleich sind wir da!

Kaum angekommen, wird es das erste Mal richtig ungamütlich draußen. Dafür wird es in der Rotondohütte richtig gemütlich. Das Essen ist, nicht nur im Vergleich zur Piansecco, an der Hartmut zwei Mal nur Suppe und Nachtisch gegessen hat, super lecker. Offensichtlich hat der Rotondo- Wirt kochen gelernt. Vor 9 Jahren war das nämlich anders.

Freitag: Zurück in den Süden.
Heute geht es über gemütliche wanderwege durch die vor 60 Jahren zur Abwehr des nie stattgefunden habenden "Großen Angriffs" gebauten Armeestellungen und dann über wunderschönes Almgelände zurück zur Pianseccohütte. Der Wetterumschwung wird merklich. Kaum über die Scharte, wird es immer wolkiger - auf der Hütte regnet es.


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NOch ist Sommer

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Um hier ins Wasser zu sprigen, müsste man selbst mir was bieten

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Irgend was wird immer gebaut

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Verlaufen auch ohne Karte ausgeschlossen.

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Samstag: Heimweg mit Abstecher

Nach widersprüchlichen Wetterprognosen sind wir noch eine Nacht auf Piansecco geblieben. Bei strahlendem Regen verschwinden wir im Gotthard- Tunnel. Wir verlassen ihn, und die Sonne scheint Bindfäden. Wir nutzen das, indem wir die Göschneralp abstechen und zur Bergseehütte hochwandern. Noch ein Mal die herrliche Aussicht genießen, und dann geht es zurück in die nasse Heimat.



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Im sonnigen Süden

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Göschneralp

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Rund um die Bergseehütte

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Die wahren Eingeborenen


Tipps:

Die Piansecco- Hütte liegt fast wie im Märchen im lichten Bergwald zwischen Blaubeersträuchern. Der Zugang ist kurz und leicht absteigend, daher macht es auch nichts, wenn man sein Essen selbst hinbringt. Denn was man dort von den zwei knackigen Hüttenwirtinnen geboten bekommt, ist ideal zum Abnehmen. Man will gar nicht mehr als die kleinen Portionen.       Allerdings gibt es oft eine leckere Suppe vor- und etwas Süßes nachher.

Lustiges Spiel für Kinder: Kühe mit Steinwürfen vertreiben.

Wer beim Klettern seinen Spaß haben will, sollte einiger Maßen gut VI klettern können, Platten mögen und keine Angst vor etwas weiteren Hakenabständen haben. Auch wenn laut KleFü keine Keile und Friends mitzunehmen sind, sollte man zuindest ein Bündel mitnehmen. Damit beim wechselnden Vorsteiger nicht immer alles zu übergeben ist, wird das Set am Einstieg geteilt und jeder nimmt ein halbes.

Wer ungern Urlaubstage auf der Suche nach Einstiegen verblödelt:
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Sollte auf der Südseite das Wetter umschlagen: Absteigen, durch den Tunnel fahren und auf die Bergseehütte gehen. Auch hier gibt es wunderschönen Granit - und auch noch einfacher als auf der Piansecco. Ebenso ein wunderschönes Panorama. Für die die wo gern verschärft klettern gibt es dann die benachbarte Salbithütte. Und die "ganz Hoatn" nehmen zur Erfrischung ein Bad im Stausee.

Wer jetzt noch behauptet, auf der Rotondohütte gibt es schlechtes Essen, war lange nicht mehr da. Der Weg zum Pizzo Rotondo ist in der alten Form so gut wie nicht mehr begehbar. Früher ging man vom Passo Rotondo über ein (relativ steiles) Schneefeld fast bis zum Gipfel. Heute ist das eine einzige Schutthalde.
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