Deutschland / Tannheimer Tal 
Quer durch die Tannheimer Berge

   
Art der Tour,
Schwierigkeit
Bergtour mittel mit mehreren Gipfelmöglichkeiten, Weg sehr gut ausgeschildert, an Wochenenden überlaufen. Die Variante Friedberger Klettersteig ist ein Klettersteig mittelschwer
Gesamtdauer 2-3 Tage (einschließlich An- und Abreise), "Wochenendtour"
"Logistik" Ausgangsort: Pfronten-Steinach, 850m
Anfahrt mit Auto oder Bahn nach Pfronten-Steinach, zurück zum Ausgangsort per Bahn von Musau
Karten, Führer Bayerisches Landesvermessungsamt: Füssen und Umgebung, AV-Führer Tannheimer Tal
Ausrüstung allg. Bergausrüstung, für die Variante Friedberger Klettersteig Klettersteigausrüstung.
Voraussetzungen Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich
Eins vorweg:
Die Tannheimer Berge - insbesondere die zwischen Aggenstein und Nesselwängler Scharte - sind wunderschön, leicht zu erreichen und an schönen Wochenenden dementsprechend "voll". Allerdings sind sie so schön, dass das den Tourengenuss nicht wesentlich beeinträchtigt - und ich für mein Teil habe dort oben ausschließlich nette und rücksichtsvolle Menschen getroffen. Die Gemsen dort scheinen das auch zu finden, denn sie stehen selbst in der Mittagssonne nach dem Motto "gar ned ignoriern" so reichlich herum, als hätten sie die Hänge für sich allein.


 Blick vom Aggenstein auf die Allgäuer Alpen (© G.T.)


Wir haben die Tour Mitte Juni 2002 bei schönem Wetter gemacht und vorsichtshalber in der Bad Kissinger Hütte und im Gimpelhaus reserviert (die Tannheimer Hütte war leider schon ausgebucht). Für die Anfahrt von Nürnberg über die Kemptener Autobahn am Freitagnachmittag brauchten wir wenig mehr als 3 Stunden - abgerechnet die Verwirrung, die die Umleitungen in Pfronten stifteten.
Der Aufstieg zur Bad Kissinger Hütte von Pfronten-Steinach durchs Reichenbachtal startet beim Campingplatz neben der Talstation der Breitenbergbahn; der "Einstieg" ist nicht sehr gut markiert, aber alles weitere erfordert keinerlei pfadfinderische Spezialkompetenzen ;-). Nachdem einige Talwiesen überquert sind (es war so schwül, dass wir dabei mehr ins Schwitzen kamen als bei sämtliche ernsthaften Aufstiegen später), ist der Weg zunächst ein wunderschöner Steig durch herrlichen Hochwald, mit Wildbach- und Wasserfalldramatik linkerhand. An Blumen sahen wir weißes Waldvögelein, akeleiblättrige Wiesenraute und gelbe Veilchen. So etwa nach 600 Höhenmetern Anstieg öffnet sich der Wald in einen nur noch sanft ansteigenden Wiesengrund, der zu dem Zeitpunkt weiß war von eisenhutblättrigem Hahnenfuß, durchsetzt mit Trollblumen über und über, dunkelvioletten Orchideen und jeder Menge Storchschnabel. Es folgt eine steile Etappe auf den Sattel zwischen Aggenstein und Brentenjoch, wo Schusternagerln und stengelloser Enzian blühten; im ersten Abendschatten auf den Grashängen unterm Aggenstein sichteten wir die ersten Gemsen, und Karoline entdeckte relativ nah beim Weg ein Murmeltier, das uns noch nicht in den Wind gekriegt hatte.
Unten im Tal waren uns ein paar "Absteiger" begegnet, ansonsten hatten wir den schönen Weg ganz für uns gehabt; hier oben kamen uns jetzt die ersten Exemplare der reichlichen Wochenendbevölkerung entgegen, die ihre Abendspaziergänge von der Hütte aus machten.

 Abstieg Rote Flüh - Gimpelhaus :-) (© G.T.)
Die Bad Kissinger Hütte gefiel uns ausnehmend gut; wir bekamen ein Zimmerlager für uns zwei (oh Luxus), das Hüttenteam war total nett und auskunftsfreudig, das Abendlicht auf den Allgäuer Bergen zauberhaft, die Käsebrote überwältigend und die junge Hüttenkatze sehr unterhaltsam. Am späteren Abend schlich zu unserer Überraschung ein Fuchs direkt neben der Hütte vorbei, und aus Respekt für Fuchsbandwurm und ähnliche Annehmlichkeiten war ich ausnahmsweise mal nicht enttäuscht, dass es noch keine reifen Walderdbeeren gegeben hatte....
Am Samstag weckte uns ein strahlender Sommermorgen; wir machten, dass wir in die Stiefel kamen, um uns mit einer kleinen Gipfeltour auf den Aggenstein den richtigen Frühstücksappetit zu holen. Die Gemsen waren auch schon am Frühstücken, solange der Morgenschatten auf den Hängen noch hielt. Da es wenige Tage zuvor noch geregnet hatte, war es absolut klar, die Allgäuer Alpen gestochen scharf, mit freier Sicht, soweit das Auge reichte. Das Gipfelbuch brauchte unbedingt den ersten grünen SAN-Aufkleber; dem konnten wir abhelfen. Zwei Einträge vor uns hatte sich ein Bergfreund sogar zum Dichten aufgeschwungen!
Gegen 9 Uhr brachen wir dann von der Hütte auf über die Seebenalp in Richtung Füssener Jöchl. Es gab noch ziemlich viele kleine Schneefelder, zur Freude der Gemsen, die an den zahlreichen Wanderern keinerlei Anstoß nahmen und sich mit steigendem Sonnenstand dort - in gebührendem Abstand zu den Wanderwegen - das Bauchfell kühlten.

Beim Aufstieg zum Sattel zwischen Läuferspitz und Hahnenkopf entdeckten wir Birkhühner; es sah aus wie eine Balzarena. Aber Birkhühner um die Mittagszeit habe ich überhaupt noch nie gesehen... die Flora erweiterte sich um Alpen-Fettkraut, Steinröschen und Silberwurz. Wo der Schnee erst kürzlich geschmolzen war, blühten tatsächlich noch jede Menge Soldanellen, während in den sonnigsten Lagen der Germer schon Knospen ansetzte und vereinzelt die allerersten Almrauschblüten zu sehen waren.
Weiter ging es in wechselndem Auf und Ab durch den Bergfrühling (hier blühten noch ganze Hänge voll Schlüsselblumen und Sumpfdotterblumen) auf den Schartschrofen (der hatte schon - Regis sei Dank - seinen ersten SAN-Aufkleber im Gipfelbuch). Oben standen zwei gestandene Bergsteiger und schüttelten den Kopf über ihren eigenen Wagemut; sie waren ohne jegliche Ausrüstung über den Friedberger Klettersteig hinaufgekommen, fanden ihn im Gegensatz zu allem, was so in den Führern zu lesen ist, v i e l schwerer als den angeblich deftigen Mindelheimer Klettersteig, würden das nie wieder riskieren und rieten uns dringend ab, da abzusteigen. Wir warfen einen Blick darauf, es ging senkrecht zwischen ziemlich scharfkantigen Felsspitzen hinab, und entschieden (u.a. mangels Ausrüstung), lieber außenrum zu gehen.
Also retour bis zum Joch westlich vom Schartschrofen und nördlich um das Teil herum, wo uns ein kryptisches Schild in die Irre führte: Der Weg gabelt sich, und die logische Variante führt rechts schräg aufwärts unterm Schartschrofen entlang zur Scharte zwischen Schartschrofen und Roter Flüh. Die ist allerdings mit einer Steinschlagwarnung bezeichnet, die sich liest, als sei das überhaupt der falsche Weg. Es wäre aber der richtige und der einfachste gewesen, wir sahen dann später Leute diesen Steig in anderer Richtung gehen. Geradeaus geht es weiter am Fuß des Gipfels entlang und dann sehr mühsam senkrecht durch Schotterkar und - zu der Zeit - Schneefeld hinauf zur Scharte. Das Schneefeld war kein Problem...

In der Scharte kam uns von der Roten Flüh herunter ein junges Paar entgegen, das noch auf den Klettersteig wollte; wir sahen ihnen zu, wie sie den Aufstieg zum Schartschrofen in Angriff nahmen und auf den ersten Metern wegen der großen Stufen, die zu bewältigen waren, große Schwierigkeiten hatten ("mein Bein ist einfach nicht lang genug, wie soll ich denn d a raufkommen?"). Danach turnten sie ziemlich fix hinauf, freilich mit der entsprechenden Ausrüstung.
Von der Scharte hinauf zur Roten Flüh führt der Steig teilweise in leichter Kletterei über schönen griffigen Fels, verhältnismäßig unabgewetzt und gut begehbar, teilweise gesichert (Drahtseile). Für relative Bergneulinge ist die Leiter etwas gewöhnungsbedürftig, die kurz unterm Gipfel in Form dicker Metallbügel mit eher großen Abständen, von denen einige die Bügelform verloren haben und als verbogene Stange aus dem Fels ragen, so 12- 15 Meter senkrecht eine Art Felswand hinaufführt, ebenso einige Meter Steilgratüberquerung, gesichert nur durch ein äußerst wackelig und schwankend wirkendes Seil"geländer" zur Linken.
Die Aussicht oben - mittlerweile waren wir die einzigen Leute auf diesem Berg - war überwältigend; im Osten Zugspitzmassiv und Mieminger Kette, südwärts grüßten Leilachspitze, Hochvogel und fern in den Lechtalern die Parseierspitze, und im Westen sah man gleichfalls ohne Ende in die Oberstdorfer Berge und noch weiter.
Der "Normalweg" hinunter zum Gimpelhaus bietet an sich keine besonderen Schwierigkeiten - bis auf eine: Da er in allen Führern als als solcher eingezeichnet und definiert ist, ist das gesamte Gestein von vielen vielen Stiefelsohlen spiegelglatt poliert, fast wie an der Kampenwand im Chiemgau, so dass man trotz der Seilsicherungen auch bei trockenem Wetter höllisch aufpassen muss, nicht abzurutschen. Zwischendurch hatte es ohnehin bereits fast Rutschpartien gegeben, wo sich der Weg, soweit er über aufweichbare Stellen verfügt, im Tauwasser teilweise mehr oder weniger zu Schlamm "verflüssigt" hatte. Weiter unten sahen wir zu unserem Erstaunen eine ganze Familie unserer krickerltragenden "ständigen Begleiter" auf einem Geröllkar äsen, gar nicht weit vom Weg, und durch nichts zu stören; was da wohl Leckeres wuchs? Viel kann es nicht gewesen sein, denn wir sahen nur Steine.
 

Das Gimpelhaus ist eine große private Hütte, trotz der Größe richtig nett, gepflegt und freundlich und kompetent geführt. (Die Käsebrote erreichten allerdings nicht ganz das Niveau der Bad Kissinger Hütte, und Fuchs und Miezekatze gab es auch nicht...) Als wir abends auf der Terrasse bei Radler und Rotem abhingen, beredeten neben uns zwei einheimische Burschen die Klettertouren für den nächsten Tag, und offenbar zogen die Kletterführen von Gimpel und Roter Flüh ganze Trupps von Kletteradepten an, denn im Vorraum stapelten sich förmlich die Seilrollen. Das Gewitter ließ Gnade walten und kam erst herunter, als wir längst in unseren Schlafsäcken steckten. Als wir am nächsten Morgen genüßlich den aussichtsreichen Hangweg zum Sabachjoch entlangwanderten, sahen wir einen Rettungshubschrauber den Gimpel anfliegen und fragten uns bestürzt, welche der Seilschaften es wohl getroffen hatte. Mit etwas Glück hoffentlich nicht allzu dramatisch, denn wer immer da am langen Seil ausgeflogen wurde, absolvierte das in Sitzhaltung.
Oben am Joch erwischte uns außer dem Jochwind der erste Regenschauer, der sich nach einem sonnigen Morgen von Westen her so schnell zusammengezogen hatte, dass wir es erst im letzten Augenblick bemerkten und gerade noch rechtzeitig in die Jacken kamen. Da war wieder Rutschpartie angesagt, ging aber ganz gut. Auf halber Höhe überm Raintal liegt zwischen Köllen- und Gehrenspitze nochmal so ein wunderschöner Wiesengrund, wo einem richtig das Herz aufgeht und die Haxen sich vom Gerutsche beim Abstieg erholen können. Unten an der Musaualm schien wieder die Sonne zum Radler; die eine Stunde, die die Wirtsleute bis nach Musau veranschlagten, war aber eher auf Bergläufer als Normalwanderer berechnet, wir haben trotz zügigen Tempos erheblich länger gebraucht (ansonsten sind die Zeitangaben, die einige Wegweiser in der Gegend enthalten, ziemlich realistisch). Durchs Tal führt zunächst ein bequemer Fahrweg, rechts in der Tiefe begleitet vom Sababach; am Abzweig linkerhand, der den eigentlichen Weg nach Musau darstellt, läuft man fast vorbei, wenn man nicht sehr aufpasst, denn das Schild ist hoch überm Weg an einem Baum oben im Wald angebracht. (Wer ihn übersieht und mechanisch den Fahrweg weiterwandert, landet am Frauensee, was genau die entgegengesetzte Richtung ist...) Der "Bahnhof" in Musau entpuppte sich als nur per Schild ausgewiesene Haltestelle, und wir schafften es ziemlich genau 5 Minuten vor dem Zug - der nächste wäre erst spätnachmittags gegangen, und wir hatten noch die Heimreise vor uns. Der richtige Regen fing exakt in dem Moment an, herunterzuprasseln, als wir in Pfronten-Steinach aus den Stiefeln heraus waren, alles verstaut hatten und die Autotüren schlossen. Einerseits glückliches Timing - andererseits wären wir so gerne noch baden gegangen. Naja, man kann eben nicht alles haben.

© Gisela Tesmer 06/02