Von Blumenwegen und Gipfelverwirrungen – 26.05.2007


Eigentlich soll es ja eine späte Winterraumtour werden: Die Überschreitung der Trettachspitze von Birgsau aus mit anschließender Übernachtung im Waltenberger-Haus, dann über die Hochfrottspitze zur Mädelegabel.

© Strauchdieb 2007

Allerdings scheint uns beim Anblick des berühmten Allgäuer Dreigestirns das Schneefeld unterhalb der Trettachspitze ein klein wenig zu groß, das Wetter nicht zu 100% stabil, … und überhaupt mag Angelika nach soeben überstandener Eisrinne nicht schon wieder einen Nervenkitzel. Was ich unbekannterweise nicht gänzlich ausschließen kann.

Jedenfalls wird kurzfristig umgeplant, Seil und Kocher aus dem Rucksack verbannt und eine Tour in Angriff genommen, die ich eigentlich als botanische Wanderung zu einem späteren Zeitpunkt in Planung habe.

Wir parken unser Auto an der Talstation der Söllereckbahn. Das geht sogar ganz ohne Obolus, da man wohl davon ausgeht, dass jeder, der hier parkt, auch die Bahn benutzt. Tun wir aber nicht. Erstens aus Prinzip, zweitens weil sie so früh am Tag noch gar nicht fährt und drittens …

Der Weg zur Bergstation der Seilbahn ist aus gutem Grund nicht als Wanderweg markiert - handelt es sich doch um eine steile Teerstraße zu den Hotels am Berg. Nicht gerade das Richtige um sich warmzulaufen. Doch schon hier entschädigen uns die blühenden Wiesen. Trotz winterlicher Sonderbeschneiung herrschen in Talnähe fast schon frühsommerliche Verhältnisse. Nur die Pistenabzweigungen zum Höllwieslift wurden in dem schneearmen Winter arg malträtiert. Als wir die Bergstation erreichen, setzt sich auch die Seilbahn in Bewegung. Noch sind wir aber alleine unterwegs und werden es bis hinauf zum Söllereck bleiben. Bis uns die erste lärmende Schulklasse und die ersten Mountainbiker überholen. Die vielen Fotostopps fordern halt ihren zeitlichen Tribut.

Der alte Weg am Grat entlang zum Söllereck wurde aufgelassen, die Abzweigung ist gut versteckt und bleibt deshalb auch für uns unentdeckt. So bleiben wir auf dem breiten Wanderweg der zuerst bequem zur bewirtschafteten Sölleralm und dann in steilen Serpentinen vorbei an ersten blühenden Alpenrosen (Rhododendron ferrugineum) und gepunkteten Enzianen (Gentiana punctata) zum Grat hinauf führt.

© Strauchdieb 2007

Gerade haben wir den Grat erreicht und der Blick öffnet sich hinüber zum Hohen Ifen und den Gottesackerwänden, als ein Steinadler taleinwärts vorbeigleitet. Eine Premiere für mich, leider hab ich die Kamera nicht schnell genug in Position - als Blumenfotograf bin ich halt nicht gewohnt, dass sich das Objekt der Begierde fortbewegt.

Den eigentlichen Gipfel des Söllerecks lässt der Wanderweg rechts liegen. Wir überschreiten jedoch die kleine Barriere und gehen die 100 Meter zum Gipfel, der langsam mit Erlen und Weiden zuwächst. Die Tempo-Taschentücher links und rechts im Gebüsch zeigen, welchen Zwecken Gipfel und Pfadspur heute dienen.

Ebenso weiß leuchten die neugesetzten oder neugestrichenen Grenzsteine immer Mitten im Weg, die uns den ganzen Tag vom Söllereck bis zur Fiderepass-Hütte begleiten. Entweder mit D und Ö oder mit B und V markiert.

Der Grat wird nun steiler, die Flanken ebenso. Trotz breiten Wegs ist also Trittsicherheit und Schwindelfreiheit gefordert. Die Blumen links und rechts verleiten mich ab und an zu mehr oder weniger waghalsigen Abstechern in die Botanik. Der nächste Gipfel ist der Schlappoltkopf, der den Blick auf unser Tagesziel freigibt: Die Hammerspitzen.

© Strauchdieb 2007

Spätestens am folgenden Fellhorn ist es dann mit der Bergruhe vorbei. Sind es doch nur wenige Meter auf breitem Weg von der Seilbahngipfelstation. Die lassen sich auch in Espandrillos überwinden.

Wir halten uns nicht lange auf und steigen die Skipiste hinauf Richtung Kanzelwandbahn. Der Schnee ist hier erst vor kurzem verschwunden, so dass die Hänge überzogen sind mit Alpenglöckchen. Wie sich’s für das Allgäu gehört, nicht einzelne Blüten, sondern in dichten Büscheln stehen sie hier. Und nicht nur die bekannte Art Soldanella alpina sondern auch die ungleich selteneren Zwerg-Alpenglöckchen (Soldanella alpicola)

© Strauchdieb 2007

Der Gipfel zur Seilbahn ist der Warmatsguntkopf (auf österreichischen Karten: Kanzelwand), der die ersten Gelegenheitsbergsteiger zum Umkehren zwingt.

Mittlerweile zieht sich der Himmel zu. Die Entscheidung des Weiterwegs überlassen wir dem Wetter, nach dem Motto ‚Umkehren können wir immer’. Der Weg hinüber zum nächsten Gipfel, der auf unserer Karte den Namen Schüsser trägt, auf den österreichischen Hammerspitze genannt wird, ist schon ein klein wenig anspruchsvoller. Ab und an gilt es am Nordostgrat die Hände aus den Taschen zu nehmen. Als uns dann prompt am Gipfel die ersten Regenvorzeichen, wenngleich nicht gerade überraschen, verschwinden sie wieder darin, um gleich darauf wieder die warmen Hosentaschen zu verlassen, um gegen den Sturm zu balancieren. Wir entschließen uns hier die Tour abzubrechen und über die Wannen-Alm nach Mittelberg abzusteigen. Doch genauso schnell wie der Regensturm kam, ist er auch schon wieder weiter gezogen. Die wenigen Tropfen sind auf den warmen Steinen geradezu verpufft. Die Sonne lacht, als ob nichts gewesen wäre.

Fast haben wir die Alm erreicht. Und jetzt wieder den ganzen Weg zurück? Hält das Wetter? Kommt da noch mehr hinterher? Es ist erst halb Drei. Also Zeit genug für einen zweiten Versuch. Die verlorenen Höhenmeter überwinden wir über blühende Bergmatten mit Kugelblumen, Veilchen, Wundklee, Silberwurz und Aurikeln.

Das Wetter hält und kurze Zeit später stehen wir auf der ersten der Hammerspitzen (um die Verwirrung komplett zu machen, trägt die auf der Landeskarte zusätzlich den Namen Hochgehrenspitze). Der weitere Weg benützt schmale Bänder, ein kleiner Kamin muss abgeklettert werden …

© Strauchdieb 2007

… und bevor es hinüber zum Hauptgipfel geht, hilft uns ein Stahlseil hinab in die nunmehr schattige Nordflanke. Am Ende des Seil überrascht uns eine weitere botanische Rarität: Ein Polster des Schweizer Mannsschilds (Androsace helvetica), …

© Strauchdieb 2007

… bevor es zurück in die Südflanke und über Schrofen und leichten Fels zum Hauptgipfel der Hammerspitzen geht (der heißt nun auf den österreichischen Karten konsequenterweise Schüsser).

Von hier aus ist es nur noch ein Katzensprung zur Fiderepass-Hütte. Doch zuvor ist die Schlüsselstelle der Tour zu überwinden. Ein fast senkrechtes aber gut griffiges III-er Wändchen hinab zur nächsten Scharte.

© Strauchdieb 2007

Als wir die Fiderepass-Hütte erreichen, ist es für SAN-Verhältnisse noch früh am Tag. Für morgen haben wir den Mindelheimer Klettersteig eingeplant. Aber leider … hab ich zum ersten Mal seit langem überhaupt, kein einziges Spiel mit eingepackt - wie sollen wir also die endlosen Stunden bis zur Hüttenruhe rumbringen? Angelika ist fertig für heute, redet aber was von schlechten Wetteraussichten - ich dachte das Tief käme erst am Montag. Aber vielleicht waren das heute Mittag schon die ersten Vorboten. Fragen wir also jemanden, der sich mit so was auskennt. Die Bedienung druckst etwas rum. „Ja, eigentlich wäre für morgen …”

Da wir keine Lust haben, bei Regen abzusteigen, sparen wir uns die Übernachtung und nach einer kleinen Stärkung steigen wir zur Fluchtalpe ins Wildental ab. Hier stehen immer wieder kräftig glänzende Vogelbeersträucher (Sorbus doerriana = Dörrs Vogelbeere), die im Allgäu endemisch sind, also nur hier vorkommen.

© Strauchdieb 2007

Im Bachgrund leuchtet ein Findling mit blauen Waldreben (Clematis alpina).

© Strauchdieb 2007

Viertel nach 8, also knapp 13 Stunden nach unserem Aufbruch stehen wir wieder unten im Tal, in Bödmen, kurz vor dem Talschluss. Jetzt gilt es die Strecke zum Talanfang und dem dort geparkten zum Auto zu überwinden. Uns siehe da, Taschenlampen, Daumen und die großen Scheine bleiben unbenutzt, es fährt tatsächlich noch ein Bus um kurz vor 9. Der letzte für heute, von Riezlern weg sind wir die einzigen Fahrgäste.

 

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