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Im Naturpark Karwendel - On the Borderline (Gelesen: 4385 mal)
Karratte
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THAT YOU NOT O'ERSTEP
THE MODESTY OF NATURE
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Beiträge: 133
Muenchen
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Im Naturpark Karwendel - On the Borderline
02.08.2004 um 09:44:19
 
Keine Angst, der Bericht ist in Deutsch geschrieben und es handelt sich auch nicht um  eine psychologische Selbstbeurteilung. Vielschichtig ist mein Bericht schon, aber vordergründig ist er schlicht die Beschreibung meiner Tagestour am letzten Samstag im Karwendel südlich von Fall, entlang der deutsch-österreichischen Grenze.

Samstag, gutes Wetter und außerdem erster Ferientag in Bayern: da wird es zugehen in den Bergen! Daher plane ich eine eher wenig besuchte Tour und starte schon sehr früh von München. Um halb sieben beginne ich den Hatscher von Fall in das für den allgemeinen Verkehr gesperrte Dürrachtal zum Abzweig, der zum Laerchkogel-Niederleger führt. Schon sind die ersten Radler unterwegs. Recht haben sie: diese Teerstraße auf der Grenze des Naturparks ist nichts für Wanderer!

Als ich nach einer Stunde das Wehr (eine jetzt randvolle Schottersperre für den Sylvensteinspeicher) über die Dürrach gequert habe, trete ich endlich ein in den Naturpark Karwendel. Keine Teerstraße mehr sondern ein geschotterter Fahrweg leiten mich weiter. Bald zweigt sogar ein echter Fußweg ab, der durch Wald und über sumpfige Weiden zum Niederleger hinaufführt. Einen halben Meter breite, gespaltene Laerchenstämme sind zur Befestigung in den Sumpf gelegt, und die langen, flachen Seiten dieser Bohlen sind der Weg. Bei der Alm treffe ich wieder auf der Fahrweg. Viele gar schmucke Almhütten stehen auf den Weiden im Naturpark, nur kein Vieh ist zu sehen. Aber ich entdecke zwei PKWs und vier Wohlstandstraktoren  (4WDs bzw. Jeeps) von Einheimischen, die offensichtlich in den Wäldern ihrem schweren Broterwerb nachgehen. Ja, sogar am Samstag.

Da, ein Verkehrsschild: "Für Fahrräder verboten", darunter ein Hinweis des DAV: "Dieser Weg zum Laerchkogel-Hochleger ist dem Weidevieh und den Bergwanderern vorhalten ...". "Das ist gut so!", denke ich: "Endlich mal ein Weg nur für mich und andere Viecher!. Oben am Hochleger weiden dann ein paar  Kühe, die sich anscheinend von Österreich hierher verlaufen haben.. Denn dort gibt es offensichtlich eine bessere Förderung der "Alpung", für die Tradition und den Tourismus. Tatsächlich, mit den rustikalen Klingeltönen ihrer Halsband-Kommunikatoren schaffen die Kühe ein alpiges Ambiente, das mir als Tourist schmeichelt. "Ich komm jetzt aus den Latschen und geh zur Wasserstelle.", bimmelt es. Aha, der gleiche Inhalt wie der der Handy-Nachrichten auf der Trambahn, Linie 19, nach Berg-am-Laim: "Ich komm jetzt von der Arbeit und schau noch beim Bräumeister rein.", aber eben rustikaler.

Hinter dem Hochleger beginnt der Weg, der auf gleicher Höhe um Torjoch und Stierjoch herum zur Tölzer Hütte führt. Die Wegebauer des DAV haben eine Trasse in den weißen Plattenkalk (Trias, Nor, marin) gehackt, die das Überholen von zwei Chariot-Kinderanhängern für's Fahrrad ermöglicht. Aber die sind hier doch nicht erlaubt - Oder doch? Ohne Fahrrad vielleicht - 'offline' sozusagen? Nicht mein Ding, dieser Weg: ich steige hinauf zum Östlichen Torjoch, immer haarscharf an der Landesgrenze entlang. Es gibt Trittspuren mit alten Markierungen, die nicht so aufdringlich neonpink aufgesprüht sind wie die an der Chariotpiste. Um es ganz deutlich zu machen: ich bin Befürworter der dezent mausgrauen Markierungen - zum Schutz der Alpen.

Oben auf dem Torjoch (1818m) steht ein Gipfelkreuz mit einem Gipfelbuch. Ich trage mein "Karratte, Web-Alpinette" ein und lese, daß gestern die Elisabeth hier war. In schönstem Tölzer Dialekt lobt die 'ehemalige Hiatani von der Ludern Alm' die Schönheit ihrer Bergwelt. Das berührt mich!  Wirklich, auch eine meist keifende Karratte hat manchmal freundliche Gefühle!  Ich finde es schön, daß jemand, der hier arbeitet, trotzdem von der Landschaft schwärmen kann und nicht nur ihren wirtschaftlichen Nutzen sieht.

Auch botanisch ist etwas Besonderes zu sehen: ein kleines, ca. 10 cm hohes Pflänzchen mit gelblicher Rispe und einem gefiedertem Blatt, dessen Fiedern aussehen wie Gingko-Blätter. (s. Scannogram).

...

Mein Alpenblumenbuch versagt, aber dann dämmert's mir: es ist ja Vollmond ... vielleicht Mondraute oder so? Später finde es tatsächlich in einem meiner klugen Bücher: es handelt sich um ein Farnkraut namens "Echte Mondraute" (Botrychium lunaria). Die gelbe Rispe besteht nicht aus Blüten sondern aus Sporenträgern. Eine Sensation für mich, der fast schon 50 Jahre Pflänzchen anguckt, aber eben fast nur Pflänzchen mit Blüten! In der Hexenkunst gilt die Mondraute als "Amulettkraut", das gegen böse Kräfte und Gedanken schützt. "Hilft es auch gegen die eigenen bösen, negativen Gedanken?", frage ich mich, "Gegen die Keifsucht vielleicht?". Gut, daß ich mir zwei Kräutlein einsteckte  ...

Leider ist keine Luder-Liesl da und, noch bedauerlicher, auch kein Luder-Hiasl, um ihnen meine Entdeckung mitzuteilen oder ihnen weitere Geheimnisse dieser Gegend zu entlocken. Also steige ich weiter über den Grat, meinem 'Borderline-Syndrom' fröhnend. Rechts blicke ich in die deutschen Abgründe der Luderwände hinunter, links begleiten mich ab- und zuschüssige österreichische Almen mit rustikal kommunizierenden Kühen. Der Fernblick ist an diesem schwül-dunstigen Tag etwas getrübt, aber ich kann die Mondscheinspitze neben anderen Ostkarwendel-Gipfeln, den Karwendel-Hauptkamm mit viel Schnee in den Nordwänden, die Östliche Karwendelspitze und die Falkengruppe ausmachen. Ja, ich erkenne sogar den Juifen an dem landschaftsprägenden Fahrweg, der fast zum Gipfel führt. Dann erreiche ich das Stierjoch (1908m), das, obwohl es höher ist als das Torjoch, kein Kreuz trägt. Rechts führt der Weg zum Kotzen (1766m) in Deutschland. Das will ich nicht und wähle den linken Grat, dem die Grenze folgt, hinunter zum idyllischen Delpsee, einem alten Karsee, von dem sich ein Wasserfall in das Krottenbachtal ergießt.

Etwas später mische ich mich an der Tölzer Hütte unter die Ausflugsgäste aus dem Rißtal. Die immer nette Wirtin Petra aus Nürnberg wird von Gästen genervt, die "Doppelbock oder ein anderes Spezialbier" verlangen oder einen Tisch für 14 Personen suchen. Nach einer schnellen Radlerhalben gehe ich weiter auf den Scharfreiter (2101m), wo die Dohlen scharf auf meine Brotzeit sind. Dort am Gipfel verlasse ich endlich die Borderline, wende mich nach Deutschland und über den Nordwestgrat erreiche ich die mit einem Sonnenschirm geschmückte Moosenalm.

Jetzt habe ich genug von mehr oder weniger ausgetretenen Pfaden und wage mich weglos ostwärts hinunter, dorthin, wo in meinen amtlichen Meßtischblatt ein grau (!) gestrichelter Pfad, eine "Klause" und eine "Diensthütte" verzeichnet sind. Die sumpfigen Wiesen stehen voller purpurn blühendem, wildem Schnittlauch (Allium feroce, oder so). Dem Sumpf ausweichend gerate ich in einen Windbruch, in dem hunderjährige Fichten und Tannen vom Föhn zusammengeworfen worden sind. Muß ich wieder hinauf und den langen Weg über den Grammersberg einschlagen? Nein, zum Glück finde ich einen Durchgang hart am rechten Talhang und gelange zu einem kleinen, verlandeten See. An seiner rechten Seite entlang komme ich zu einer verfallenen Klause aus mächtigen Baumstämmen. Diese Klausen dienten früher zum Aufstauen des Wassers für die Holztrift. Wurde die Klause geöffnet, wusch das angestaute Wasser die zuvor unterhalb ins Bachbett gerollten und gezerrten Baumstämme hinunter ins Tal. Aber nur wenn alles glatt ging, sonst mußten die Holzknechte irgendwo im Bachbett unter Lebensgefahr ein Wirrwarr von Stämmen auflösen.. Auf dem Weg der Holzknechte steige ich nun hinab zum Krottenbachtal. Unterwegs nutzte ich eine der vielen Gumpen zu einem erfrischenden Bad. Herrlich ist es, unter dem Wasserfall zu schwimmen und gleichzeitig das kühle Naß zu trinken. Vergessen ist das 'hygienisch einwandfreie Trinkwasser', für das ich auf der Hütte den Umweltgroschen von 50 Cent zahlte. Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein, naturbelassen, ohne Auflagen und Gebühren!

Der Rest meines 25 km langen Weges, nun ja, das sind sechs Kilometer Forststraße bis nach Fall. Denn heute machen große Maschinen die Arbeit der Holzknechte, und die brauchen breite Zuwege. Der Fahrer des PKW aus dem Landkreis Freising, der hier mit dem Anhänger "Forstdienste" am Innenspiegel parkt, ist sicher auch jemand, der die Auflagen für den Naturpark trickreich umgeht. Der Wagen stört mich allerdings im Augenblick weniger als die vielen Bremsen, die ich hiermit zum "Untier des Jahres" erkläre. Könnte man sie nicht durch eine EU-Verordnung vertreiben ...? Ach was, sinnlos, diese Mistviecher hätten doch bald einen Anhänger "FFH-geförderte Spezies"  erfunden.

Eure Karratte
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« Zuletzt geändert: 07.12.2007 um 19:43:18 von Karratte »  

" ... THAT YOU NOT O'ERSTEP THE MODESTY OF NATURE ..." (Shakespeare)
 
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Croco
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Re: Im Naturpark Karwendel - On the Borderline
Antwort #1 - 02.08.2004 um 11:37:55
 
mein lieber ratz...
ich wollte gar nimmer aufhören mit dem lesen...
auf deinen spuren werde ich wandeln...
tolle tour...schöner bericht...
hast net noch mehr davon...???

liebe grüße...
crocerl...
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DAV-Trainerin C Bergwandern

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Re: Im Naturpark Karwendel - On the Borderline
Antwort #2 - 04.08.2004 um 14:01:04
 
meeeeeehr!  Smiley

lg
gisela
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Karratte
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THAT YOU NOT O'ERSTEP
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Muenchen
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Re: Im Naturpark Karwendel - On the Borderline
Antwort #3 - 05.08.2004 um 07:10:02
 
Croco und gggg,

Geduld, ihr Leseratten! Ich kann nicht dauernd solche Texte absondern, da ich auch anderes zu tun habe.  Am Wochenende will ich mich als Alpinette bei einem Scheppertreffen der Vulkanetten einschleichen ...

Gruss,
Karratte
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DAV-Trainerin C Bergwandern

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Re: Im Naturpark Karwendel - On the Borderline
Antwort #4 - 05.08.2004 um 09:31:47
 
weiß schon, nie im leben ist man sooo beschäftigt wie im so genannten ruhestand  Zwinkernd

welcher vulkan soll denn ausbrechen?
harre gespannt der lavaströme...  demnächst auf dieser seite? *g*

lg
gisela
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Leander
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Re: Im Naturpark Karwendel - On the Borderline
Antwort #5 - 08.08.2004 um 16:31:20
 
Supergut Kurt....das macht Laune und der arme Erwin kann bei solch einer Tour lang per SMS auf den Kalter locken. *lach*
Liebe Grüße
Erwin
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