Durchs wilde Bergell - Familientour 09/2007
Na klar, die 2006 begonnene Tradition musste natürlich 2007 zu einer solchen werden - also auf zum spätsommerlichen Ferienabschluss-Familien-Hüttentrekking 2007!
Auch heuer sorgten die reichhaltige Gebietskenntnis und die mindestens genauso reichhaltige Bergbibliothek der Familienreferentin für ein erstklassiges Angebot:
Man fuhr ins wilde, garantiert nicht überlaufene Bergell, wo, selbst wenn man nicht zum Klettern anreist, bereits die Hüttenübergänge und Pässe auch ausgesprochen anspruchsvolle Erwartungen zufriedenstellen können: Fornotal, Casnilpass Süd, Albigna-Stausee, Cacciabella-Pass (T5!), Sciorahütte...
Schließlich musste Ann-Sophie und Sabrina ja was geboten werden
!
(Einen Wermutstropfen gab es allerdings: Lauter Kletterberge oder ausgewachsene Halbtags-Hochtouren , also keine "Gipfel zum Mitnehmen" an der Strecke, denn die Tagesetappen waren nicht kurz genug, um nochmal 5-6 Stunden draufzusatteln.)
Obwohl schon gräßlich erwachsen *räusper*, wurden Christine und ich als Familientour-Teilnehmerinnen auch heuer von den Hauptpersonen großzügig toleriert...
Auch die Wettergötter spielten mit und spendierten besseres Wetter als vorhergesagt, wir hatten schon am Freitag meist Sonne.
31. August 2007
Frühstück in Frickingen (danke, Lisanne!), Abreise in der Bodenseekarosse (wir passten samt Gepäck alle 6 rein!) zu ziviler Zeit, Fränkli ziehen, Pinkelpause in Heidiland (es war gerade Mittagszeit, und so schaute Heidi höchstpersönlich als Wetterweiblein aus dem Turmfenster...), und irgendwann in Maloja.
Natürlich fuhren wir glatt an der Parkplatzauffahrt vorbei
, Wenden war erst kurz vorm Talboden möglich... der Parkplatz hatte auch keinen Taug: 24 CHF pro Tag!
Selbstverfreilich wurde das bestreikt. Ein Anruf bei der Hütte ergab die Empfehlung, in Maloja zu parken. Christine und ich zogen mit den Mädels schon mal los, und da es einen Direktpfad von Maloja ins untere Fornotal gab, holten Lisanne und Jörg uns bald ein.
Das Fornotal beginnt ganz brav mit gemütlichen Seniorenautobahnen und Ausflugszielen, z.B. diesem:
Lagh de Cavloc
Schön, gell? Unterwegs gab es lauter wichtige Schweizer Benchmarks, etwa ein Alphorn oder eine entgegenkommende Ziegenherde, zu bestaunen. Viiiel interessanter auf dem schönen, aber ewig keine "Höhe machenden" und nicht enden wollenden Tal"aufstieg" war jedoch der Inhalt einiger Pfützen: jede Menge Kaulquappen!
Irgendwann ging es dann doch mal etwas aufwärts, und endlich outete sich das wilde Bergell in Gestalt des Fornogletschers, flankiert von der Cima di Rossi (auf irgendeinem Hang davor MUSS doch die Hütte sein!).
Damit auch bei aperen und etwas glatteren Verhältnissen der brave Touri gut die Gletscherzunge erklimmen kann, gibt es zum Festhalten - nein, kein Drahtseil!
Hier kommt tatsächlich noch der gute alte Hanf zum Einsatz:
Weiter über den Gletscher, langsam zog es sich zu, und auf einer toll konstruierten Brücke wurde der Gletscherbach überquert:
(Foto: Christine)
Ab da konnte man allmählich von "Hüttenaufstieg" reden, erst recht lang über Geröll und Blockwerk, bis oberhalb des ganzen Schotter ein dicker roter Punkt nach oben rief, wo eine Leiter an einem Felswändchen lehnte, die, obwohl mehrfach mit Seilresten festgebunden, wackelte wie Kuhschwanz. Mit ihr beginnt eine Art Klettersteig zur Hütte sozusagen "direttissime" durch Geröll und Gletscherschliff hinauf, d.h., öfter mal Versicherungen zum Festhalten. Die sind kein Witz; Versuche, den Weg mit Holzbohlen zu befestigen, rutschten überall lose im Steilschutt herum, und an einer Stelle war die Trittspur so abgerutscht, dass man wirklich fest zupacken musste.
Hier erst (ausgerechnet, wo es endlich interessant wurde, tztztz...) soll es sozusagen als Abschluss des geduldig absolvierten endlosen Talaufstieges zu einer kleinen Meuterei der jüngsten Teilnehmerin gekommen sein, was sich aber beim Anblick der Hütte umgehend legte.
(Es scheinen Reste eines älteren Weges zu existieren, der in großem Bogen nördlich um den Gletscherschliff unter der Hütte herum- und durch eine Rinne hinaufführt und vermutlich mittlerweile zu sehr steinschlaggefährdet ist.)
Ist man oberhalb des Gletscherschliffs angekommen, geht es auf wieder vergleichsweise zahmen, hübschen Steigen bald zur gemütlichen und sehr nett bewirtschafteten Fornohütte (2574m), in deren Wohnstubencharme wir nur wenige weitere Gäste vorfanden. Das Essen war gut (Kartoffelstock mit Ragout, lecker), das Tiramisu, das es zum Nachtisch gab, ein Gedicht (dabei bin ich kein Tiramisu-Fan!), und die Damen vom Hüttenteam waren ausgesprochen reizend.
01. September 2007
Der Morgen war nicht gerade strahlend, aber vielversprechend, die Aufstiegsroute zum südlichen Casnilpass leicht einsehbar:
Also den Klettersteig wieder runter auf den Fornogletscher. Blauweiße Markierungen wiesen überdeutlich, wo selbiger zu überqueren war... zunächst aber musste - nein, keine Spalte! - eine derzeit unbewässerte Gletscherbachrinne irgendwie überwunden werden. Zwischendurch schnell den wilden Talschluss mit den Monti Torroni fotografiert (man beachte die Nadel neben dem Torrone Orientale):
Für Unterhaltung war also erstmal gesorgt. Der gräßliche Geröllaufstieg erwies sich dann als zwar anspruchsvoll genug, dass die Kinder sich nicht langweilten
, aber nicht annähernd so übel, wie wir nach der Beschreibung befürchtet hatten. Sogar "Wasserfälle" für Christines Sammlung rieselten über den Granit:
(Foto: Christine)
Immer am Bach lang immer höher, und siehe da, auch hier überdauert noch ein "niedlicher" Gletscherrest (d.h., "niedlich" ist der sichtbare Teil, keine Ahnung, wie weit das unter dem Geröll berabwärts reicht), der rechts umgangen wird. Man quert dann oberhalb des Gletscherchens zum Pass (2941m, links davon der Nordgipfel des Caciadur, 3034m):
Dies war der einzige potentielle "Mitnehm-Gipfel" der ganzen Tour und sah ja nun nicht gerade schwerbesteigbar aus. Den ließen Christine und ich uns natürlich nicht entgehen (wenigstens ein Dreitausender musste einfach sein), die Kinder würden sowieso noch etwas Zeit brauchen bis zum Pass. Man konnte fast überall hinauf, gelegentlich sah es sogar nach Trittspuren aus. Wir suchten uns eine leidlich komfortable Route durch nicht immer fest verkeiltes Blockwerk und Schutt und sahen uns das Bergell von oben an:
Blick auf Cima di Rossi, klein im Hintergrund der Monte Disgrazia
(Sehr schöne Aufnahmen der Aussicht vom Casnilpass mit Beschriftung sämtlicher Gipfel gibt es übrigens hier:
http://www.m-klueber.de/Foto/Panorama/Bergell_Casnil.htm.)
Genug geguckt, wieder runter zum Pass, und da waren sie schon im Anzug:
Casnilpass
Der weitere Übergang zur Albigna-Hütte begann mit einem sehr weiten Bogen über jede Menge Blockwerk mit wenig Höhendifferenz nach Norden am nördlichen Casnilpass und unterm Piz Casnil vorbei. Wilde Landschaft, die Zacken um den Cacciabellapass, der morgen anstand, immer vor Augen.
Gleich nebenan grüßte die Cima del Cantun (3354m):
Als es dann über einen Rücken sozusagen "von hinten durch die Brust ins Auge", nämlich von Nordosten, in wieder vegetatives Gelände Richtung Hütte endlich abwärts ging, kam zunächst ein Murmeltier und dann ein idyllisches Seelein nach dem anderen, zum Beispiel dieses (die Felsen könnten zum Piz dal Päl gehören, dem Hütten-Kletterberg):
Natürlich wurde hier gerastet... (im Hintergrund wieder der Cantun-Gletscher).
Wie sang doch die Seeräuber-Jenny in der Dreigroschenoper? "Ja, da muss man sich doch einfach hinlegen, ja da kann man doch nicht..." naja, einfach so weiterhatschen:
Und natürlich war es unten auf der Hütte (2336m) nicht so ruhig wie am Abend vorher, denn wir hatten Samstag und schönes Wetter, d.h., das ganze Klettervolk (Einheimische wie Touris, man hörte allerdings mehr romanische Klänge als deutsche), soweit es nicht den morgendlichen Direktaufstieg à la Lisanne vorzog, war hier oben...
Von wegen "à la Lisanne"! Wir bewältigten diesmal ALLES by fair means!
Trotz der vielen Leute war es auch auf dieser Hütte sehr angenehm, der Wirt hatte den Trubel voll im Griff.
Und wieder gab es zu Lisannes und meiner Freude Kartoffelstock...