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Hier spricht der Gletscher (Gelesen: 5957 mal)
strauchdieb
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Hier spricht der Gletscher
22.09.2008 um 12:10:14
 
Dass unsere Enkel die Zentralalpen nicht mehr eis- und firnbedeckt erleben werden, ist wohl unabwendbar. Jeder, der mit offenen Augen durchs Hochgebirge geht, kann den Gletscherschwund mitverfolgen.

Mittlerweile kann man ihn auch hören. Übers Telefon. In 'Real-Time':

089-37 91 40 58


Gruß, Strauchdieb
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mali
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Re: Hier spricht der Gletscher
Antwort #1 - 22.09.2008 um 12:13:39
 
Haha! Gummistiefel statt Steigeisen?

Aber jetzt mal im Ernst: Kann es nicht auch sein, dass die Klimaerwärmung und der damit verbundene Gletscherrückgang ganz normal sind? In der Erdgeschichte hat es ja immer abwechselnd Warm- und Kaltzeiten mit Gletscherrückgängen und -vorstößen gegeben ...
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strauchdieb
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Keltern
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Re: Hier spricht der Gletscher
Antwort #2 - 22.09.2008 um 13:07:45
 
Hallo Mali,

durch div. wissenschaftliche Methoden (u.a. Analyse von Eisbohrkernen) lassen sich sowohl die Temperaturverläufe als auch die damit gekoppelten CO2-Gehalte  in der Luft sehr genau nachvollziehen. Die 4 bekannten Eiszeiten der jüngeren Erdgeschichte und die dazwischenliegenden Zwischen-Eiszeiten sind so genau dokumentiert. Die Zeiträume im Ablauf relativ konstant.

In dieser Abfolge stecken wir erdgeschichtlich tatsächlich in einer Erwärmungsphase. Allerdings erfolgt diese derzeit in einem Tempo, das in der Erdgeschichte einmalig und eindeutig menschgemacht ist.

Das wird schon alleine daran sichtbar, dass der CO2-Gehalt der Luft in den Zwischeneiszeiten bei ca. 280ppm lag, er derzeit um 100ppm höher liegt und für das Jahr 2050 auf gar 700ppm prognostiziert wird.

Das CO2 ist dabei selbst gar nicht für die Erwärmung verantwortlich, es ist aber der Initiator (Weshalb relativ geringe Mengen ausreichend sind), der Motor der Erwärmung ist dann der Wasserdampf.

Dabei war in den 70er und 80er-Jahren sogar der gegenteilige Effekt zu beobachten: 75% der Alpengletscher legten mehr oder weniger deutlich an Masse zu. Ursache dazu war die sog. globale Verdunklung. Dabei führte die durch mehr oder weniger ungefilterte Verbrennung von fossilen Brennstoffen dazu, dass die Albedo (das ist das Verhältnis von Einstrahlung zur Ausstrahlung) erhöht wurde. Im Zuge von technischen Umweltschutzmaßnahmen wurde die Luft wieder sauberer, die Effekte der Erderwämung deutlicher.

(Das ist auch der Grund, warum einige Wissenschaftler glauben, mann könnte den Treibhauseffekt und die damit verbundene Erderwärmung dadurch reduzieren, in dem die Luft im globalen Massstab eingetrübt wird).

Ganz entscheidend ist aber auch, dass die gemesse Temperaturänderung in den Alpen mehr als doppelt so hoch ausfällt wie im globalen Rahmen. So sind seit 1890 (Beginn der Temperaturmessung) die Durchschnittstemperaturen um 0,8° angestiegen. Im Alpenraum betrug dieser Temperaturanstieg 2,0°C.

Absehbar ist, dass sowohl die Alpengletscher als auch die alpinen Permafrostgebiete (ca. 5.000 bzw. 10.000 km²) auf voraussichtlich 10% der Fläche zurückgehen werden. Die offene Frage ist nur, wie schnell dies geschehen wird.

Und damit auch, wie lange noch unter obiger Telefonnummer der Gletscherbach am Vernagtferner zu hören sein wird.

Gruß, Strauchdieb

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Re: Hier spricht der Gletscher
Antwort #3 - 22.09.2008 um 13:18:36
 
mali schrieb am 22.09.2008 um 12:13:39:
In der Erdgeschichte hat es ja immer abwechselnd Warm- und Kaltzeiten mit Gletscherrückgängen und -vorstößen gegeben ...

Jetzt muss nur noch der aus der Pasterze ausgeaperte Baum bemüht werden. Ja. VOR der letzten Eiszeit, d.h. durchaus noch in historischer Zeit, wuchs um die heutige Hofmannshütte Wald. Die Eiszeit kam relativ schnell (wenige hundert Jahre), es brauchte aber bis etwa ins Jahr 1 unserer Zeitrechnung, bis etwa heutige Temperaturen erreicht waren. Danach wurde es noch weitere 1200 Jahre lang wärmer.
Aber heute spielt sich alles innerhalb von 50 Jahren ab.
Als ich mit Klettern anfing, konnte man z.B. die Palavicinirinne oder Königsspitze (N-Wand) im Sommer gehen, und Hochtourensaison war August. Heute ist HT-Saison Juni (Viel Spaß mit dem Wetter, das ist nämlich nicht besser geworden in den letzten 20 Jahren) und besagte zwei Touren sind nicht selten Anfang Juni schon zu so großen Teilen ausgeapert, dass man sie nicht mehr ohne Gefahr für Leib und Leben begehen kann. Zum Biancograt führte eine Firnrinne, jetzt ist an deren ehemaligen Rand ein Klettersteig.
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Karratte
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Re: Hier spricht der Gletscher
Antwort #4 - 23.09.2008 um 13:01:30
 
Allzu schnell vergessen wir bei dem augenblicklichen Kaelteeinbruch, dass die globale Erwaermung voranschreitet. So ist es gut, wenn Strauchdieb am 554. Tag nach Boll an die schmelzenden Gletscher erinnert. Obwohl die Telefonvorwahl auf Muenchen hindeutet: keine Angst, es ist nicht das Rauschen des Abflusses vom Oktoberfest, das man da hoert, sondern man wird weitergeleitet zum Vernagtferner und hoert das Rauschen des Gletscherbaches (http://www.callingtheglacier.org/).

Vor 40 Jahren habe ich auf eben dem Vernagtferner bei geophysikalischen Messungen der Eisdicke mitgewirkt. Wo wir damals im Zungenbereich Dicken von 20 bis 40 m gemessen haben, ist heute gar kein Eis mehr vorhanden! Insgesamt hat dieser Gletscher - nach der erwaehnten, kurzen "Erholung" - seit 1980 rund 15% seiner Eismasse verloren. Wenn ich vom Schwarzkoegele auf den Gletscher hinunterschaue, beschleicht mich ein wehmuetiges Gefuehl, auch im Gedanken an die globalen Dimensionen.

Mali, du hast schon Recht, solche Schwankungen gab es auch auf natuerliche Weise. Aber, worauf Lampi ja hinweist, diesmal geht es so schnell, dass man es nur durch den menschlichen Einfluss auf die Atmosphaere erklaeren kann. Dabei bewirkt das Kohlendioxyd als Treibhausgas schon eine Erwaermung der Atmosphaere - durch das Einfangen der langwelligen Strahlung. Die Temperaturerhoehung wird noch verstaerkt, indem die erwaermte Luft zusaetzlichen Wasserdampf aufnimmt, der insgesamt gesehen das wichtigste Treibhausgas darstellt. Es entsteht eine sogenannte "positive Rueckkopplung".

Noch eine kleine Klarstellung: die Albedo (Rueckstrahlvermoegen) ist andersrum als Strauchdieb es sagt. Sie ist das Verhältnis von Ausstrahlung zur Einstrahlung. Neuschnee hat eine Albedo von bis zu 90%, gruenes Grass von 25%, und Asphalt eine solche von rund 15%. Richtig ist der Effekt, naemlich dass eine hoehere Albedo, also eine geringere Aufnahme der Sonnenstrahlung, zu einer Verringerung der Erwaermung fuehrt. Daher tragen wir im Sommer gern helle Kleidung - weisse T-Shirts mit hoher Albedo vielleicht (solange sauber!).

Gruss,

Karratz
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strauchdieb
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Keltern
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Re: Hier spricht der Gletscher
Antwort #5 - 23.09.2008 um 14:34:25
 
Karratte schrieb am 23.09.2008 um 13:01:30:
Noch eine kleine Klarstellung: die Albedo (Rueckstrahlvermoegen) ist andersrum als Strauchdieb es sagt. Sie ist das Verhältnis von Ausstrahlung zur Einstrahlung.


Stimmt natürlich! Schließlich kann die Rückstrahlung nicht höher sein als die Einstrahlung.

Hier Beispiele für Albedowerte abhänging von der Oberfläche:
Frischer Schnee      0,80 – 0,90
Alter Schnee              0,45 – 0,90
Wolken                      0,60 – 0,90
Felder (unbestellt)      0,26
Rasen                      0,18 – 0,23
Wald                      0,05 – 0,18

Gruß, Strauchdieb
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« Zuletzt geändert: 23.09.2008 um 15:54:06 von strauchdieb »  

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Re: Hier spricht der Gletscher
Antwort #6 - 23.09.2008 um 21:56:50
 
strauchdieb schrieb am 23.09.2008 um 14:34:25:
Schließlich kann die Rückstrahlung nicht höher sein als die Einstrahlung.

Natürlich stimmt das, aber ich kann mich hin und wieder des Eindrucks nicht erwehren, dass es trotzdem so ist Zwinkernd
Sonnenbrand unterm Kinn und auf der Zunge und so'n Zeugs ...
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Viele Grüsse,
Andrea
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