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Wanderer
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83052 - Buchen am Berg
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Wir schreiben das Jahr 2008. Alle reden von Klimawandel und tropischem Regenwald in den Bayerischen Alpen. Und doch: noch niemals zuvor war die alljährliche Seniorentour mit so viel Schnee gesegnet wie an diesem 30. November. 10 rüstige SAN-Rentner, 1 ewiger Nicht-SAN-Rentner und ein Extra-Rentner waren unterwegs, das gewaltige Traithen-Massiv zu erobern. Bereits der Start entsprach genau den gefestigten Traditionen: Wo geht’s denn jetzt zur Rosengasse? Oben rum oder unten rum? Eigentlich oben rum, aber oben rum ist ja gesperrt - also unten rum und oben parken oder unten parken? Eigentlich oben parken, aber das ist ja Privateigentum. Also unten parken und sich ärgern, dass man ja doch hätte oben parken können. Und wo ist überhaupt der Lampi? Fährt irgendwo mit dem Zug rum! Senioren-Ermäßigung macht’s möglich. Da an der Rosengasse nirgendwo ein Bahnhof zu sehen ist, erscheint weiteres Warten vergeblich und die ersten Bergmeter werden mit viel Elan in Angriff genommen.
Bald schon wird der Schnee angemessen tief, und Bernd, die neu erworbene Spurmaschine, kommt erstmalig zum Einsatz. Nach anfänglichen Einstellungsschwierigkeiten (zu großer Trittabstand) funktioniert diese vorzüglich und lässt sich ganz leicht durch unwegsamstes Gelände auf den Kleinen Traithen lenken. Die Maschine ist sehr genügsam, benötigt keine Krücken wie der Rest der Gruppe und ist für alle Eventualitäten mit Spikes und Werkzeug ausgerüstet. Am viel gefürchteten Schinder zum Großen Traithen gibt es leider wieder Probleme mit der Spurbreite. Am Gipfel jedoch kommt frischer Wind in die angestaubte Gruppe und reichlich Adventsgebäck lässt alle Mühen vergessen. Wo ist denn jetzt eigentlich der Lampi? Gerüchten zur Folge soll ein einsamer Wanderer am oberen Sudelfeld gesichtet worden sein.
Ein schneidiger Latschengrat führt weiter über das Unterberger Joch zum Steilner Joch. Wieder sind kleine Wartungsarbeiten an der Spurmaschine nötig, da diese vom Hersteller offensichtlich mit alten Gamaschen ausgeliefert wurde – eine Frechheit! Es gilt noch abzuklären, ob hier ein Garantiefall vorliegt. Am Steilner Joch wieder standesgemäß weihnachtliche Verpflegung. Auch die letzten Nachzügler haben noch einige Sekunden Zeit von den Leckereien zu kosten, bevor nach hastigem Aufbruch der nicht vorhandene Weg endgültig im Dickicht verschwindet. Der Steilner Grat wehrt sich mit Ästen und Stämmen vehement gegen eine Erstbegehung an einem 30. November, und dutzende lästige Gegenanstiege behindern das Vorwärtskommen und die Höhenmeteraufzeichnungen in den GPS-Geräten.
Die grausige Rotwandlspitze rückt allmählich in bedrohliche Nähe. Erste Verschleißerscheinungen machen sich bemerkbar: "Muss ma da jetzt hoch?", "Kann ma da net unten vorbei oder hinten vorbei oder überhaupt irgendwie vorbei? Direkt zur rettenden Brünnsteinschanze?". Doch unaufhaltsam führen die Wegfetzen in den dunklen Wald unterhalb der Felsenburg. Schon werden erste Steine sichtbar. Der Wald wird dichter und dichter, die Steine größer und größer, das Licht weniger und weniger, und wo ist eigentlich überhaupt der Lampi?
Unter einer sich jäh aufbäumenden Felsenmauer kommt es zum Stocken. Kamin, II, Rinne, Schrofen, ausgesetzt, wo ist der Weg? Wie tief geht’s da runter? Ein erstes Misstrauensvotum ("Kennst Du den Weg wirklich") – erfolglos! Hinter den letzten Baumwipfeln trocknet die Gipfelrinne friedlich in der abendlichen Sonne. Aufgeschreckt vom unerwarteten und plötzlichen Auftauchen der laut mit den Krücken klappernden Seniorengruppe lässt die Rinne gleich einige Steinchen rieseln. In der sicheren Annahme, dass dies der schwere Weg sei und der Abstieg ganz selbstverständlich ganz einfach woanders sich verberge, waren Restbestände von Gruppenmoral durchaus noch vorhanden: "Da müssen wir ja eh nicht wieder runter! Oder? Wo ist denn der einfache Weg?" – "Das ist der einfache Weg!" – jetzt war es passiert. In heller Panik werden die Krücken weggeworfen und so manche Griffe und Tritte abgerissen, bevor der Gipfelgrat endlich erreicht ist. Schon will die Gruppe sich in euphorischer Siegeslaune niederlassen, doch die schockierende Nachricht lässt nicht lange auf sich warten: Es geht noch weiter! Eine heikle Querung auf schmalem Band in schauriger Nordseite gibt Anlass zu allerlei Umwegen. Angeblich soll in der Tat eine sonnigere Umgehung gefunden worden sein. Am Ende erreichen 2 Gipfelzacken-Nordwandbegeher und ansonsten lauter Gipfelzacken-Südwandbegeher den höchsten Punkt. Der Abstieg erweist sich dank der vielen entfernten Steine als zeitraubend. Dennoch ist es irgendwann geschafft, die Gipfelrinne kann sich vom vorweihnachtlichen Schock erholen, und die Seniorentour 2008 findet auf der Brünnsteinschanze einen würdevollen Ausklang. Und wo ist denn jetzt eigentlich der Lampi? Im Hotel Alpenrose! Menues vernichten! Nach der Erstbegehung des Kleinen Traithen Nordgrats an einem 30. November! Ein voller Erfolg also! Die Wintererschließung des Traithen-Massivs von allen Seiten war vollkommen.
Ciao, oeg
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