so, hier nun der versprochene Bericht:Mittelschweden, 01. März. Um 03:00 Uhr morgens klingelt der Wecker, um 04:00 Uhr fährt der Bus, der uns vom Feriendorf Furudal zum gut 120 km entfernten Startort des 85. Wasalaufes bringen soll. 90 km auf Langlaufski mit insgesamt 785 Höhenmetern liegen vor mir. Warum nur tut man sich so etwas freiwillig an ? Aber offenbar wirkt der Reiz des Waslaufes nicht nur auf mich – warum sonst hätten sich ca. 15.000 Starter gemeldet ? Hinzu kommen nochmal weit über 10.000 weitere Starter die die Strecke im Laufe der vergangenen Woche absolviert haben – im Rahmen des “Öppet Spår” (“offene Klasse” - Einzellauf mit individuellem Start), als Staffel oder auf der Halb- oder Drittelstrecke.
Der Wasalauf (schwedisch: Vasaloppet) folgt einem alten Handelsweg von Sälen in südöstlicher Richtung nach Mora. Er geht auf eine Geschichte aus dem Jahre 1521 zurück. Damals war der spätere schwedische König Gustav I Wasa auf Ski vor den Dänen geflohen, hatte aber zunächst im Gebiet von Dalarna keine Unterstützung gefunden. Nachdem Gustav Wasa weitergezogen war überlegten es sich die Einwohner anders und schickten zwei Läufer auf Skiern hinterher. Im Gebiet von Sälen, wo heutzutage der Start stattfindet, holten diese Gustav Wasa ein und bewogen ihn sich an die Spitze des Kampfes gegen die Dänen zu setzen. 1523 wurde Schweden von Dänemark unabhängig.
Noch heute ist eine mittelalterlich gekleidete Figur auf Ski mit einem breitkrempigem Spitzhut und einem langen Stab, ähnlich dem der Gondoliere in Venedig, Symbol des Wasalaufes. Den damaligen Menschen ging es aber wohl kaum um sportliche Leistungen sondern eher um handfeste politische Interessen. Mehr zur Geschichte des Wasalaufes ist bei Wikipedia unter
http://de.wikipedia.org/wiki/Wasalauf zu finden.
Um 07:30 Uhr deponiere ich meine Ski im Startraum – als erstmaliger Starter stehe ich in der letzten Startgruppe, und auch dort noch ganz hinten: wir waren unterwegs in den Anfahrtsstau geraten und somit erst lange nach der Öffnung des Startgeländes angekommen. Hinter mir stehen nur noch ca. 300-400 Läufer. Von Mitreisenden mit Wasalauferfahrung hatte ich schon gehört was mich da erwartet: Stau am ersten Anstieg, ca. 1 km nach dem Start. Trübes Wetter mit -9°C und leichtem Wind läßt mich frösteln. Pünktlich um 8:00 Uhr fällt der Startschuss, ca. 5 min später passiere auch ich die Startmatte. Schon von hier kann ich die unendliche Traube von Menschen sehen die sich wellenförmig den Hang hinauf wälzt. Nach nur 6 min lockeren Laufens ist es soweit: ich stehe ich der Schlange. Die nächsten 45 min geht es grade mal 700 Meter vorwärts – und ich muß ständig aufpassen nicht rückwärts den Hang zurückzurutschen. Auch das kostet Kraft.
Aber irgendwann ist auch dieser Hang geschafft, und es geht endlich weiter. Dennoch habe ich nach einer Stunde grade mal 2,7 km absolviert – die Spitzenläufer sind zu diesem Zeitpunkt etwa bei Kilometer 20. Kurze Zeit später passiere ich den höchsten Punkt der Strecke (538 m über Meeresspiegel). Ab jetzt befinde ich mich auf einem Hochplateau und kann locker und flüssig laufen. Mein Tempo pendelt sich bei etwa 10 km/h ein, noch lasse ich es etwas vorsichtig angehen. Nur nicht zu früh zu schnell laufen – das könnte sich gegen Ende rächen. Ständig behalte ich den Pulsmesser im Blick – um die 140 Schläge pro Minute habe ich mir als Maßstab gesetzt.
Die nächsten Stunden geht es recht gleichmäßig durch die schwedischen Wälder Ich spüre, wie ich immer besser in den Rhythmus komme. Nicht nur werde ich kaum noch überholt (nun gut, so viele Läufer befinden sich ja auch nicht mehr hinter mir...) - ich beginne, einen nach dem anderen zu überholen. Vor allem an Anstiegen bin ich jetzt schneller als viele vor mir. Die Verpflegungsstationen bieten neben dem gewohnten Isogetränk und Wasser auch “Blaubeersuppe”, ein typisch schwedisches Fruchtgetränk: lauwarm und ziemlich süß, aber wohlschmeckend und hervorragend als Energiespender geeignet. Manche hatten mich gewarnt dies könne durchaus auch durchfallartige Folgen haben – die bleiben bei mir zum Glück aus.
Kurz nach der Hälfte der Strecken und nach dem zweiten längeren Aufstieg passieren wir die Station Evertsberg – und ich weiß aus dem Streckenprofil, was nun folgt: mehrere Kilometer Gefälle – mal nur leicht, mal steiler. Es ist abgesehen vom Finale der schönste Teil des ganzen Laufes. Die ersten Muskel- und Sehnenbeschwerden vom Aufstieg nach Evertsberg sind vergessen, und auch das Wetter hat sich gebessert – kein Wind mehr, Temperaturen von wenigen Grad unter Null und gelegentlich spitzt die Sonne hinter den Wolken hervor. Ich genieße nur noch – und bin mir zum ersten Mal während des Laufes sicher, dass ich mir das Finish um nichts in der Welt nehmen lasse werde. Doch noch liegen fast 40 km vor mir.
Ab der Station Oxberg kenne ich die Strecke bereits – wir sind am Freitag die letzten 30 km schon mal “probegelaufen”
In Oxberg treffe ich eine der Mitstreiterinnen aus unserer Gruppe. Sie verläßt die Station kurz vor mir, und ich habe es mir in den Kopf gesetzt sie einholen zu wollen. Das gelingt mir zunächst auch – allerdings kostet mich das reichlich Kraft, und so muß ich das Tempo wieder drosseln und sie ziehen lassen. Mittlerweile – es sind noch knapp 20 km bis ins Ziel - macht sich die Ermüdung schon deutlich bemerkbar. Andererseits ist jetzt jedes Kilometerschild eine neue Motivation. Und ich mache weiterhin Platz um Platz gut.
Noch herrscht Ruhe auf der Strecke – zwei Tage vor dem Lauf an der Markierung 13 km vor dem Ziel in Mora
Jetzt ist auch links und rechts der Strecke jede Menge los. Bands, private Verpflegungsstationen, Motorschlitten oder einfach nur begeisterte Zuschauer – alle sind auf den Beinen und feuern die Läufer an.
Kurz nach 17:00 Uhr passiere ich die letzte Verpflegungsstation Eldris. Noch knapp 9 km bis zum Ziel. Der Blick zur Uhr verrät: ich muß auch auf dem Schlußabschnitt einen Schnitt von knapp über 10 km/h laufen um mit meiner Nettozeit unter 10 Stunden zu bleiben. Das ist doch noch mal eine Extraportion Motivation.
Mittlerweile dämmert es, was insbesondere auf Gefälleabschnitten die Erkennbarkeit der Spur verschlechtert. Scheinbar hat sich der Veranstalter dem Energiesparen verschrieben – denn erst als es wirklich fast dunkel ist wird die Loipenbeleuchtung eingeschaltet. Ich habe jetzt noch rund 4 km bis ins Ziel.
Den Ortseingang von Mora zieren überdimensionale Teelichter rechts und links der Strecke. Ein eindrucksvoller Anblick – der den schnellen Läufern (die ersten waren gegen 12:30 Uhr im Ziel) entgangen ist. Vor mir ist die bereits die Kirche von Mora zu sehen, vor der sich das Ziel befindet. Noch ein paar Schleifen durch den Ort, die letzten beiden Anstiege - eine Brücke und eine Böschung - hinauf, und dann die letzte Linkskurve auf die hell erleuchtete Zielgrade. 400 Meter Zielsprint mit voller Kraft – und die Uhr bleibt bei 9:59:03 h Nettozeit (10:04:19 h brutto) stehen. Es ist geschafft – der Wasalauf liegt hinter mir. Glücksgefühle pur.
Freilich, anstrengend war's schon – aber auch ein Erlebnis erster Güte. Und es muß ja nicht bei diesem einen Mal bleiben – sowohl in Norwegen wie auch in Finnland gibt es weitere 90 km-Langläufe. Und wer weiß, vielleicht lockt mich auch der Wasalauf eines Tages wieder...
Nach dem Zieleinlauf zurück im Feriendorf mit meinen treuen Begleitern: meinen Langlaufski... ...und mit meinem Finisher-Diplom