Vorspiel: Hartmut, meine letzte Rettung
Eigentlich sollte es dieses Jahr eine wilde Tour geben. Doch der erste Versuch im Februar, meine Kletterkumpane durchzurufen, ging deutlich in die Hose: Manuel will es richtig wissen und war den Winter über in eine Kletterhalle gezogen. Eine Route im oberen siebten Grad sollte schon rausspringen. Das traute er mir dann (mit Recht) nicht zu. (Jeden Falls nicht länger als 20 m und auch nicht im On-Sight.) Er hat inzwischen genug Kletterkumpels gefunden und hat es nicht nötig, sich mit Pfeifen wie mir abzugeben.
Der zweite Versuch war dann der Dennis, der kurzfristig nach Südamerika ging, so dass mir nur noch 2 Monate blieben. Blieb nichts als das angedachte Valle di Orco auf folgende Jahre zu verschieben und mit Hartmut eine Woche zum gemütlichen Pläsierklettern ins Bedretto zu fahren. Hartmut mag eigentlich solche Plattenschleichereien.
Sonntag: Erstaml muss alles trocknen
Nachdem der Schnürlregen endlich aufhörte:
Von Alpe di Cruina queren wir
gemütlich in einer guten Stunde
zur Piansecco- Hütte
und genießen den Sonnenuntergang
Montag: Blitzschlag, Steinschlag, Schweiz- Pläsier (OK, die ersten zwei lassen wir mal weg.)
Für die "Picadilly di Bedretto" sind wir extra früh aufgestanden. 2330 m hoch soll der Einstieg sein. Um uns in dem unübersichtliche Kar (Der Einstieg kann nach SP ÜBERALL sein), gehen wir an den etwas niedriger liegenden "Lago delle Pigne".
wir sind in einem südexponierten Kessel und ich habe wg. der fortgeschrittenen Jahreszeit außer meiner gefütterten Hose nichts anderes mit.
Auch sonst sieht es hier nicht unbedingt aus wie in 2250 m Höhe.
Wir sehen "mitten in der Wand" ein Band, die Höhe stimmt, bequem einqueren lässt es sich auch, und wenn man den Weg genau kennt und nicht so gut zu Fuß ist wie Hartmut, dann sind die 70 Minuten ab Piansecco- Hütte auch realistisch.
Wir finden einen Standhaken und scheinbar zur Markierung abgelegte Munition.
Sieht zwar überhaupt nicht nach unserer Tour aus, aber damit wir überhaupt noch zum klettern kommen, steigen wir mal ein.
Das Band ist nur unterbrochen, nach einer, falls nicht mit Haken versehenen, unbegehbaren Plattenquerung geht das Band erst richtig weiter. Hier wird wohl der richtige Einstieg sein.
Wir versuchen erfolglos, zu quereren.Die Platten sind so glattgeschliffen, dass nichts geht. Schwer ist es nicht, durchgehend II-III, stellenweise IV, aber kein Haken und mit Keilen und Friends keine Chance. Trotz des scheinbar harmlosen Geländes, ein einmaliger Verlust des Gleichgewichts endet mit 150 Meter Freiflug ins oben genante, jetzt unter uns liegende Kar. Hartmut, der klettertechnisch einen guten Grad wenige Reserve hat als ich, kommt mit dieser Situation trotzdem besser zu Recht als ich. Frustriert ziehen wir uns unter Hartmuts Protest zurück, auf einem grünen Hügel gibt genießen wir die schöne Nachmittagssonne und sehen, dass dort, wo man nicht hinlaufen kann, tatsächlich ein paar Leute klettern. Einzige Erklärung: Die Tour startet weiter unten.
Wir spazieren noch etwas umher und finden tatsächlich die Einstiege. Mit der Zeichung im "Pläsier Süd" hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun. Die mittler Weile abseilenden Kletterer bestätigen uns auch dass wir die Tour gefunden haben und dass sie auch schon mal einen halben Tag lang in der Wand umhergeirrt sind.
So viel Altschnee wie dieses Jahr ist wirklich selten. Vor allem Ende September.
Frustriert treten wir den Heimweg an.
Dienstag: Picadilly
Heute erreichen wir zielstrebig unseren Einsiteg in 2200 Meter Höhe.
Nachdem Hartmut gestern so extrem gute Nerven zeigte, kann heute nichts mehr schief gehen, auch wenn es mit bis 6a (also schwere VI+ ) schon hart an seine Grenzen geht. Für mich habe ich da schon mehr Bedenken. Die Schweizer bohren zwar zuverlässig, aber auch weit.
Durchs Grüne geht es ans Graue.
wo wir Sonne pur genießen.
Nach zwei Stunden sind wir dort, wo Hartmut gestern schon hingegangen wäre, wenn er nicht so einen Feigling dabei gehabt hätte.
Nicht nur der Nacken, auch die Füße brennen.
Doch jetzt mag plötzlich der Hartmut nicht mehr. Die Haken sind ihm zu weit auseinander. Obwohl ingenieurtechnisch vorbelastet, tröstet es ihn nicht, dass das was er
gestern gemacht hat,
gefährlich ist und das, was wir
heute machen, im Falle eines Falles
nur abgeschürfte Haut zur Folge hat. Rational kann er das verstehen. Er weiß auch wie Risiko definiert ist. Beim Klettern ist er blockiert. Er krallt den Fels, als wollte er ihn mit bloßen Händen aufs halbe Volumen verdichten. Er findet einen Standplatz nicht und bastelt sich selbst was. Zwei wirklich bombig sitzende Friends. Hartmut sieht sich schon die ganze in den letzten vier Stunden zurückgelegte Strecke in ewenigen Sekunden wieder runterschießen.
So wie er am Vortag auf mich Rücksicht nahm, so muss ich das heute mit ihm tun. Rückzug trotz aller bester Verhältnisse vier Seillängen vor Ende.
Eine Seillänge der "Headwall" darf ich noch klettern.
Wie fertig er ist, merke ich wärend der Abseilstrecke, die wirklich auf 60 Meter gebohrt ist. Von einem meiner Zwillingsseile fehlen nämlich 5 Meter. Während Hartmut gestern noch vollkommen unbefangen free solo im Dreiergelände herumturnte, habe ich jetzt ein wirkliches Problem, ihn in einem Fall die 3 Meter vom Seilende zum nächsten Abseilstand zu schwätzen. Und das ist bestenfalls Einsergelände, in dem man einen tödlichen Absturz mutwillig hervorrufen müsste.
Wieder an der Hütte angekommen, ist Hartmut nicht so geknickt wie ich. Er ist 9 schöne Seillängen geklettert, hatte schönes Wetter und warmen Fels. Was will er mehr.
Mittwoch: Grußtante
Heute ist die "Tanti auguri" ("Viele Grüße") dran - die einfachste Route im Gebiet.
Die langen Schatten zeigen den Herbst an
Trotzdem hat der Einstieg Sonne von Morgens an, so dass nach einer guten halben Stunde Zustieg schon der Bach angezapft wird.
Yak, willst Du das obere Drittel in groß?
Erneut kein Wölkchen in Sicht.
Heute streckt Hartmut schon in der dritten Seillänge die Segel. Zum "Alles Vorsteigen" sind die Touren jedoch etwas lang, kaum eine Seillänge unter 50 Meter und 14 Seillängen, die auch für mich zum großen Teil nicht geschenkt sind. Doch was tun mit dem angeknabberten Tag? Ganz einfach:
Weiterklettern so weit wir kommen, Licht und Luft genießen, keinen Stress machen.
Dies zum Thema "Friends und Keile sind nicht erforderlich"
Hartmut kriegt noch jede Länge ein Stück Traubenzucker, dann klappt das auch mit der Konzentration beim Sichern, nach 8 weiteren Längen ist dann rein zeitlich Umkehr angesagt. Denn alles Vorsteigen dauert nicht nur länger, ich muss mich zwischenzeitlich auch mal wieder beruhigen.