Liebe Bergfreunde,
was sich hinter der VRP verbirgt, lest Ihr bitte hier
http://www.sektion-alpen.net/cgi-bin/yabb2/YaBB.pl?num=1284587148 nach
.
Es ist schon hochgradig Sch**ße bei bestem Wetter mit schmerzenden Ellbogen zu Hause zu sitzen, während sich der Rest meines Freundeskreises an irgend welchen Felsen vergnügt. In den Alpen ist es nicht ganz so dolle, fällt eine Bergtour wie letzte Woche also auch aus.
In meiner voralpinen Zeit war ich ja noch oft mit dem Fahrrad unterwegs - im nördlichen Schwarzwald kannte ich jede (mit einem Nicht- Mountainbike befahrbare) Forststraße. Im Vergleich dazu kenne ich hier fast nix. Und überhaupt nix von dem, was den Albtrauf nicht berührt. Also geht es los - durch Rems- und Murrtal nach oben, hinab ins Kochertal und dieses wieder hinauf nach Aalen.
Nach einer Stunde will ich schon umdrehen - zu viel der Idylle, gepflegte Vorgärten und bis zur Perfektion getriebene Desindividualisierung in gesichtslosen EFH- Siedlungen, denen man auf der Durchquerung des von 2,5 Millionen Menschen bewohnten Speckgürtels rund um Stuttgart nicht ausweichen kann. Klar - rund 1 Mio EFH brauchen nun mal mehr Platz als wenn man deren Bewohnern in Arbeiterschließfächern unterbringt. Aber irgend wie sind das auch Schließfächer - nur schlechter erschlossen und mit viel größeren Entfernungen verbunden. Steuergeschenke, die in Deutschland weltweit einzigartig sind, machen es möglich. Mehr als ein Mal muss ich überlegen, in welchem Dorf ich gerade bin, wenn ich auf der Karte nach dem Weiterweg suche.
Die erste Station ist daher Backnang, eine Stadt, die zu Zeiten industrieller Monokultur bessere Zeiten erlebt hatte, und in diesen ihre Innenstadt bzw. das, was Bomber- Harris davon übrig gelassen hatte, liebevoll renovierte. Zumindest einen Nachmittag kann man in dem schönen Städtchen mal verbringen.
Irgend wann meinten dann die Nieten in Nadelstreifen, entweder, um ihre Existenz zu rechtfertigen oder aber, um in der Folge demonstrativer (wenn auch sinnloser) Aktivität ihre Tantiemen ins Unverschämte zu steigern, dass in China alles wenn schon nicht besser, dann doch wenigstens billiger ist. Und billig ist schließlich das was die Leute wollen - bzw. das was die Werbung will dass es die Leute wollen. Also Sack & Pack mit Hurra auf auf viele Lkws geschmissen und diese 10000 km nach Osten geschickt. In die verlassenen Werkhallen und Verwaltungsbauten sind jetzt Gründerzentren, Handwerk, wohnungen oder auch 1-Euro-Shops eingezogen. Irgend wie erinnert mich das ein wenig an Leipzig, auch wenn sich ein solcher Vergleich aufgrund der Größenordnungen eigentlich verbietet.
Ab hier kommt die Landschaft dem schon verdächtig nah, was an dieser Stelle schon öfters despektierlich als Rentneridyll bezeichnet wurde. Also genau das Richtige für mein vorgezogenes Rentnerprogramm. Sanfte Hügel, abwechslungreich mit Wiesen und Wäldern, die stark befahrene Bundesstraße neu gebaut und weit weg, eine kaum befahrene Bahn schlängelt sich eingleisig durchs mäandernde Tal - auf der Trasse von 1880 .
Wo sich bis vor 20 Jahren noch der gesamte Verkehr von Stuttgart nach Nürnberg durch Städte und Dörfer quälte, ist jetzt kaum mehr was los - die jetzige L1066 ein Paradies für Motorradfahrer, und die immer noch breite, bolzgrade durch Wald und Wiesen sowie die Bebauung geschlagene Straße lädt zu privaten Rennen ein. Aber das interessiert mich jetzt nicht mehr, der Radweg hält bis Murrhardt Abstand von der Straße. Ein guter Fahrbahnbelag lässt mich je nach Wind und Steigung oder Gefälle mühelos mit 25-32 km/h dahingleiten.
Ab hier bekommen die Dörfer auch wieder ein Gesicht. Kurz gesagt, es ist Genuss pur. Mehr oder weniger ausgiebige Besichtigungen versauen mir den Schnitt natürlich - aber ich will ja nicht schon nach 5 Stunden am Ziel sein.
Am Rande
Man beachte die architektonisch raffinierten Accessoires des Schlosses
Gelbe Stifte sind hier DER Renner
Die nächste Stadt ist Murrhardt. Der weitestgehend unbeschädigte Altstadtkern ist sehenswert. Sogar ein sonntags Tourismusbüro gibt es.
Kurz hinter Murrhardt verlässt die Straße das Murrtal , die Murr speist dort einen Badesee. Am zugehörigen Parkplatz ist das "Remstal Klassik 2010"
Liebevoll gepflegte Oldtimer sind hier zu besichtigen, und gleichzeitig war noch Modellboot- Rennen.
Eigentlich wollte ich ja nur zu dem See, weil dort ein Grillplatz ist, aber weil man bei einem Oldtimertreffen keinen Funkenflug gebrauchen kann (schließlich kann man ja nie wissen, dass nicht doch etwas Benzin ausläuft) wurde der Grillplatz unbrauchbar gemacht. Mit Hunger im Bauch bin ich nicht zu genießen, und ein km weiter standen ein paar tausend Tonnen Schweinefutter am Weg. Nun, Männer sind bekanntlich Schweine und müssten daher auch deren Futter verdauen können.
Fast zu schade, um Sprit draus zu machen. Aber nur optisch, roh schmeckt das ziemlich scheußlich. Aber der Hunger treibt die Körner von vier Kolben in mich rein. Mit Maisstärke gestärkt, schaffe ich die letzten 5 km über eine Passhöhe nach Fichtenberg, wo an einem Stausee ein wunderschöner Grillplatz mit viel Totholz in der Nähe zur (Nach-)Mittagsrast einlädt.
Während das Grillgut vor sich hinschmurgelt, schmurgele ich in der Sonne - Warum habe ich eigentlich keine Badehose dabei? Eine Viertelstunde im Badesee wäre eine reinigende Abkühlung.
"Durch die Sau" und begleitet von einer saftig gegrillten Zwiebel sowie einigen Folienkartoffeln schmeckt der Futtermais doch erheblich besser.
Weiter geht es ins Kochertal und dort entlang des ehem. "Klepperle". Als der Bahnbau Anfang des 20.Jahrhunderts in Untergröningen angekommen ist, platzte die Bahnaktien- Blase, aus der durchgehenden Verbindung von Aalen nach Schwäbisch Hall wurde nichts, und der Torso wurde Anfang unseres Jahrhunderts zu Zeiten explodierender Stahlpreise wieder demontiert.
Wer von den unter 40-Jährigen weiß, was das ist?
Und warum hat die Brücke ein Dach? (Sieht man in der Gegend öfters)
Was soll das denn?
Die Antwort.
Schloss "hoch" über Untergröningen.
Ab hier weitet sich das Kochertal - der Tag geht seinem Ende entgegen. Der vor kurzem noch angenehm empfundene Wind beißt mir in die Beine, Pullover, Handschuhe, Mütze ... und der Kocher-Jagst-Radweg verläuft großteils auf der B19. Die Waden krampfen, im Brigantentritt geht es weiter, das gibt aber kalte Füße. Auch im Flachland kriege ich den 8. von 8 Gängen nicht mehr gedrückt. Keine Besichtigung mehr, es geht nur noch das Tal des Kochers (hier nur noch ein Bach) hinauf nach Aalen. Die letzten 5 km durch ein zu dieser Zeit gottverlassenes Industriegebiet zum Bahnhof, der wie üblich, erst ausgeschildert ist, wenn man ihn schon sieht. 20 Minuten noch, das reicht für drei Schälchen Suppe im "Hongkong" und zur Zubereitung von einmal Huhn auf Reis in scharfer Soße und einer gebackenen Banane mit Honig. Gegessen wird im Zug, anschließend traumlos geschlafen. In Stuttgart schubst mich jemand aus dem Zug, nicht dass ich noch sitzenbleibe und wieder zurück nach Aalen fahre. Ich bin so fertig, dass ich 2 km Richtung nach Hause noch mitsamt Fahrrad in die S-Bahn steige.
Zu Hause zeigt mein 6-Euro-Fahrradcomputer 126 km an, Höhenmeter spielen keine Rolle die Angaben über verbrauchte Kalorien und Fett sind ein Witz, die schaue ich mir gar nicht an. vmax=55,6 km/h (Abfahrt nach Fichtenberg), vmin = 4,8 km/h (der Schlussanstieg nach Hause), 6 Stunden reine Fahrzeit und vier Stunden alles Andere von Mittagsrast bis Wartezeit an Kreuzungen.
Am nächsten Tag steckt mir die Fahrt mehr in den Knochen als der Berg letzte Woche. Anstatt wie gewohnt im 5. Gang brauche ich für den Anstieg ins Büro den zweiten.
Im Nachhinein eine schöne Tour und gute Alternative zur Wanderung, wenn die Berge kein geeignetes Wetter haben. Jeder Zeit wieder. Die "bergige" Landschaft rund um Stuttgart möchte ich nicht eintauschen - auch nicht gegen die Möglichkeit, es nur 80 statt 200 km in die "richtigen" Berge zu haben.