Chilenische Reisememoiren Teil 3


Samstag, 23.04.2005

Es ist vollbracht! Nein, ich meine damit nicht "habemus papam", sondern meine höchstpersönliche Erstbesteigung eines chilenischen Vulkans, unseres Hausbergs Volcan Villarica. Seit gestern bin ich also in die Riege der Vulkan-Bergsteiger aufgenommen, und ich muss zugeben, dass ich doch ein wenig Stolz verspüre.

Als ich jedoch gestern in der Früh um sechs Uhr aufstand und den Villarica in der ersten Morgensonne sah, war mir doch leicht mulmig zumute, ob ich mir da nicht doch eine Portion zu viel zumute, zumal der Vulkan zu allem Überfluss (nahezu im wahrsten Sinne des Wortes…) zwei Nächte zuvor noch glühende Fontänen in die Luft rülpste.

© Ulli 2005
Der Villarica (2.852 m) am frühen Morgen unserer Besteigung

Hans hatte gedacht, mir im Vorfeld die Unternehmung damit näher bringen zu können, indem er mir erzählte, man könne die ersten 400 Höhenmeter mit dem Sessellift fahren. Ehrlich gesagt, habe ich ihm das nicht so recht glauben wollen. Ich hatte eher gedacht, er würde mir etwas vorflunkern, damit ich keinen Rückzieher mehr mache.
Da hatte aber sowohl er als auch mich getäuscht: Es ging tatsächlich ca. eine halbe Stunde ein Sessellift (mit dem alle "Touris" die erste Etappe hochgehievt wurden), aber ich wollte als SAN-Mitglied nun wirklich kein Weichei sein, auch wenn es für mich als Damenkränzchenmitglied das erste Mal in meinem Leben sein sollte, dass ich 1.400 Höhenmeter am Stück ersteigen würde, noch dazu das erste Mal in meinem Leben zum Teil mit Steigeisen.

© Ulli 2005
Hier der Beweis, dass ich der SAN alle Ehre mache (Antiweicheierbeweis…!)

Die ersten 400 Höhenmeter legen wir exakt in der von Hans prophezeiten Damenkränzchenzeit von eineinviertel Stunden zurück und hängen die nächsten 200 gleich noch mit dran, bevor die nächste Bananenstärkung fällig wird. ‘Das ist fast schon die Hälfte’, versuche ich mir Mut zuzusprechen, doch ein Blick nach oben zeigt mir, dass der Weg noch sehr, sehr weit ist…

© Ulli 2005
Respekteinflößender Blick nach oben

Auch auf dieser Tour bin ich im Übrigen äußerst bemüht, Werbung für die SAN zu machen. Das SAN-T-Shirt lasse ich so lange zur Geltung kommen, bis ich mich wegen des eiseskalten Windes gezwungen sehe, über die 3 bereits darunter befindlichen Thermowäscheschichten noch ein zweites SAN-T-Shirt und eine dicke, windfeste Fleecejacke anzuziehen.

© Ulli 2005
SAN-Werbung vor Berglandschaft…

Wir steigen und steigen und steigen und irgendwann kommen wir dann endlich in die schneebedeckte Gletscherregion, wo ich meine ersten Steigeisenerfahrungen mache (übrigens durchweg positive).

© Ulli 2005
Damenkränzchenmitglied Ulli total alpin: mit Eispickel und Steigeisen!

Mitten auf dem Gletscher treffen wir auf einen ungewohnten Genossen in dieser Region, der sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verflogen hat: einen wunderschönen Hirschkäfer. Da er spätestens beim nächsten Schnee hier oben umkommen würde, beschließen wir kurzerhand, ihn in meinem Brillenetui mitzunehmen und später in niedrigen Gefilden wieder freizulassen. Es könnte also durchaus sein, dass der Käfer in meinem Rucksack ebenso wie ich seine erste Villaricabesteigung hinter sich gebracht hat…

© Ulli 2005
Seltener Gletschergast - komplett verflogen

Wir steigen und steigen und steigen weiter und irgendwann wird der Wind so kalt, dass ich über die Mütze auch noch einen Hut ziehen (der mir etwas später in hohem Bogen davongeweht werden sollte) und zu den SAN-Buffles noch ein Zusatzfleece um die Gurgel stülpen muss.

© Ulli 2005
Wind-und-Kälte-Stopper-Kleidung

Ich weiß auch nicht, aber je steiler es wird, desto entfernter scheint mir irgendwie unser Ziel…

© Ulli 2005
Noch kann ich im Schneckentempo, aber stetig in meinem Rhythmus aufsteigen…

Hans gibt mir auf unserem "Endspurt" (der, was mich betrifft, besser "Endschleich" heißen sollte) immer wieder die noch zurückliegenden Höhenmeter an. Ich bin ihm dafür sehr, sehr dankbar, denn mit meiner Höhenbergsteiger-Todeszonen-Technik (20 Schritte steigen, 10 Mal Hecheln), die bei mir bereits auf ca. 2.650 m beginnt, könnte man ansonsten meinen, gar nicht mehr voran zu kommen…

© Ulli 2005
"Kampf" um die letzten Höhenmeter

Bei jeder eingelegten Hechel-Mini-Zwangspause entschädigt allerdings für alle Pein und Müh der grandiose Blick hier oben:

© Ulli 2005
Blick nach Nordosten, wo wir in den letzten zwei Wochen schon so viel unternommen haben: vorne die Vorberge des Villarica, dahinter der Lago Caburgua; rechts davon die Berge des Parque Huerquehue und Canyon de Cani, dahinter links der Llaima, die Sierra Nevada und der Lonquimay…

Schritt für Schritt für Schritt nähere ich mich unserem Ziel. Als ich die ersten Erschütterungen unter den Füßen spüre und die ersten Gasexplosionen höre, weiß ich, dass ich - sollte ich weitergehen - bald am Krater sein werde. Kurz meldet sich Herr Hasenfuß mit aller Macht in mir und meint, ich solle sofort wieder umkehren, mit einem Vulkan sei schließlich nicht zu spaßen. Da sich allerdings mein Schutzengel bereit erklärt, während unserer Anwesenheit den Pillan (so nennen die Mapuche den bösen Geist, der in jedem Vulkan wohnt) anderweitig zu beschäftigen, steige ich todesmutig weiter Hans hinterher… und bin kurz darauf nach insgesamt fünfeinhalb Stunden Aufstieg wirklich ganz oben!

© Ulli 2005
Hurra, innere Schweinehunde und Hasenfüße sind besiegt!

Kurz darauf kommt ein Bergführer-Kollege von Hans ebenfalls oben an, so dass wir gebührend auch ein Foto der Lektorin (meine Wenigkeit) mit ihrem Autor bzw. Bergführer (Hans Saler) vor dem Krater schießen können.

© Ulli 2005
Dreamteam am Ziel

Ein echter Ort zum Verweilen ist die Kraterumgebung ansonsten nicht; ätzende Dämpfe reizen die Schleimhäute (ständiger Hustenreiz, die Nase schwillt zu, die Kehle brennt), aus dem Krater faucht es eruptiv und bedrohlich, zwischendrin speit er dunkelrote Lavafetzen in die Luft.
Hans konstatiert, dass sich der Krater in den letzten paar Wochen stark verändert hat: Er hat sich enorm angefüllt, das Material ist inzwischen bereits erstarrt und dadurch hat sich das Kraterloch extrem verkleinert. Das heißt, der Druck kann nicht mehr so gut entweichen wie vorher. Das wiederum heißt, dass die Wahrscheinlichkeit eines eruptiven Ausbruchs steigt.

© Ulli 2005
Der Krater des Villarica; in der linken unteren Bildhälfte der neue kleinere Schlot

Trotz der Unwirtlichkeit der Umgebung lassen wir es uns nicht nehmen, wenigstens eine viertel Stunde einen Teil des Kraterrandes abzuwandern und die grandiosen Ausblicke von dort zu bewundern.

© Ulli 2005
Blick nach Südosten: Vulkangletscher des Villarica, im Hintergrund Volcan Quetrupillan und Volcan Lanin

© Ulli 2005
Blick nach Nordwesten: Lago Villarica, rechts der Ort Pucón mit dazugehöriger Halbinsel

Dann geht es wieder hinab. Der Schnee auf dem Gletscher ist mittlerweile aufgefirnt und rutschig geworden. Bergfex Hans fährt auf seinen Bergschuhen einfach ab, ich hingegen bin dafür nicht wirklich geschaffen, und da die oberen Hänge äußerst steil und lang sind (Motto: einmal gestürzt und in Fahrt gekommen, bremst dich erst das nächste messerscharfe Geröllfeld oder ein liegengebliebener Brocken oder gar Eispickel wieder…), werden diese ersten paar Hundert Höhenmeter zwangsläufig die anstrengendsten. Mein Abstiegstempo in dieser Region dürfte darüber hinaus in etwa dem des Aufstiegs entsprechen…

© Ulli 2005
Biegsame Gelenke sind bei derartigen Choreographien am Berg durchaus von Vorteil…

Einige Male lässt es sich dann doch nicht mehr vermeiden, einfach wegzurutschen und unsanft auf Knie oder Hinterteil zu fallen, wobei ich mich jedes Mal bei meinem Passagier Herrn Hirschkäfer für die damit verbundenen Erschütterungen entschuldige.

© Ulli 2005
Endlich: Einstieg in den letzten steilen Schneehang auf dem Gletscher; danach geht es nur noch durch Lavafels und -geröll

Als wir bereits alle schwierigeren Passagen hinter uns haben, brauche ich dringend noch ein weiteres Abenteuer… ich erklimme nach Hansens Vorbild die futuristisch anmutenden Überbleibsel einer ehemaligen Sesselliftstation, in die jedoch irgendwann einmal Lava hineingelaufen ist. Jedenfalls ist es nicht nur sehr luftig da oben, sondern auch sehr windig, so dass ich froh bin um meine Stöcke, mit denen ich die Böen besser abfangen kann.

© Ulli 2005
Abenteuer auf brüchigem Beton…

© Ulli 2005
…hier kurz vor einer heftigen Böe, die mich tatsächlich ins Schwanken brachte und schleunigst wieder von dem bizarren Gebilde trieb

Jedenfalls bin ich froh, als ich da wieder herunten bin. Der Abstieg die letzten 600 Höhenmeter verläuft Gott sei Dank ohne weitere Abenteuer, und ab der neuen Liftstation 200 m weiter unten geht es nur noch in rasendem Surftempo über bzw. durch Vulkanaschefelder hinab. Das Gefühl dabei ist genau wie beim Absteigen mit Schneeschuhen im Pulverschnee, nur dass man noch mehr "dahingleitet". Es macht jedenfalls einen Heidenspaß! Fotos gibt es von dieser Surfpartie leider nicht mehr, da Hans weit voraussurfen musste, ansonsten hätte ich kiloweise seinen Staub schlucken müssen.

Total verdreckt vom Lavastaub, aber mindestens genauso glücklich und stolz komme ich wieder am Auto an, um kurz darauf, wieder zu Hause, aufgeregt Truus von unserem Erfolg zu berichten.

Ich bedanke mich jedenfalls ganz herzlich bei Hans für diese wunderbare Tour (vor allem für seine tolle Führung und seine Geduld!), bei dem Pillan des Villarica für seine Sanftmut, und bei meinem Schutzengel für seine gelungene Arbeit!

Vor allem für meine Freundin Steffi extra noch ein Beweisfoto, dass der Schutzengel, den sie mir vorsichtshalber noch zusätzlich geschenkt hat, auch mit dabei war…

© Ulli 2005

Ulli

 

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