Los geht es in Orgosolo. Wären die Autos nicht, dann könnte man sich glatt um 50 Jahre zurückversetzt vorkommen. Und das nach nur einer guten halben Stunde Busfahrt von Nuoro. Daran änderte auch der schlauer Physiker nichts, der mal ausgerechnet hat, dass Zeitmaschinen wenn überhaupt nur vorwärts fahren können. Orgosolo ist unter den Städten dieser Größe vermutlich die bekannteste der Welt. Das liegt zum einen an den Wandmalereien, die fast jedes Haus der Hauptstraße zieren
und zum anderen am wunderschönen Film "Banditen von Orgosolo" von 1961, der als einer der ersten dokumentarischen Spielfilme überhaupt gilt. Leider gibt es ihn nur auf italienisch, wozu noch in langen Passagen das selbst für Festlandsitaliener nur schwer verständliche Sardisch gesprochen wird. Da bin ich absolut ohne Chance.
Wer es trotzdem versuchen will: Hier gibt es den ersten Teil:
http://www.youtube.com/watch?v=zGe5v2ZF4to, zu den weiteren Teilen kann man sich durchklicken.
Hier gibt es keine Bilder, ich hatte nur die Stirnkamera.
http://www.youtube.com/watch?v=zLlxk6dKtwMIch bitte die miserable Bildqualität zu entschuldigen.
Für die, die es sich nicht ansehen wollen:
Am Pratobello (Hochfläche etwas außerhalb der Stadt) ist eine Art Stadtfest mit Viehmesse. Wegen des miserablen Wetters (es hat sogar "unten" geschneit) ist der Besuch nicht so wie sonst, und man ist dazu übergegangen, die gegrillten Schafe zu verschenken. Ich bin bis zum nächsten Mittag zum Platzen voll.
Ich merke bald, wie sehr ich die Größe des Gebiets unterschätzt habe. Ein freundlicher Eingeborener nimmt mich mit bis zur Caserma forestale "Ilodei Malu", wo man mir allerlei Fragen stellt, bis ich meinen FÜL- Ausweis zücke und damit alle Ängste zerstreue, ich könnte verlorengehen oder von Wildschweinen (Cinghiali) gefressen werden, die anscheinend gefährlicher sind als Wölfe oder Bären (die es dort ohnehin nicht gibt).
Die beiden "Tacchi" (Berge in Form eines Schuh-Absatzes) Monte Fumai
und M. Novo S.Giovanni
(beide zusammen)
begehe ich heute noch. An seinem Fuß baue ich meine Dackelgarage. Oben ist dann eine Biwakschachtel.
Von oben sehe ich das erst Mal die Gorropu- Schlucht, nur als Kerbe im Horizont.
Noch ein Mal habe ich (schlechten) Handy- Empfang, danach ist erst Mal Funkstille. Das gibt es in Italien sonst nirgendwo.
In den so genannten Cuilen kann man auch schlafen. Ein Zelt braucht man nicht wirklich. Mehrere Stunden geht es vom Randgebirge auf die Hochebene in etwa 1000 m Höhe. Durch die Gorropu- Schlucht kann man die Staatsstraße erkennen. Kurzzeitig ist Ende der Funkstille.
Am Weg von den Tacchi zur Hochebene ist noch eine Art Almbetrieb. Milchschafe und frei herumlaufende, an unsere Hällisch- Hohenlohischen erinnernde Schweine. Die Hochfläche selbst ist wild. Nur ein Reisebüro bietet hier (vermutlich illegal, aber das ist genau so vermutlich auch scheißegal) Allrad- Touren an. Mufflons (Wildschafe) und Wildschweine. Um die wenigen Suhlen mache ich einen Bogen mit 100 m Radius.
Ich suche zuerst Europas tiefste Doline, die "Su Sercone". Tiefe und Radius je 200 m. Ohne Wegmarkierung und mit Karte in 1:50000 nicht einfach zum finden.
Das dauert so lange, dass ich noch mal übernachten muss. Diesmal wirklich in der Cuile "Ziu Raffaele" (laut Karte: "Pippilloddi").
Sie wurde eigens für diesen Zweck neu errichtet. Ein Verlassen des Supramone durch die Gorropu Schlucht ist nur durch mehrmaliges Abseilen möglich, und ich habe Weder Seil noch Gurt mit. Nächster Schreck: Kein Wasser mehr. Auch keine Quelle. Kotlett gebraten, kein Salz, kein Pfeffer, keine Beilagen. Das das als solche vorgesehene "Pane Carasau", eine hauchdünne Art Knäckebrot, zieht Wasser, ca. die 3-fache Menge dessen, was man davon isst.
Am nächsten Morgen will ich dann die Quelle finden. Das Teil stellt sich als unterirdisch heraus. Allein traue ich mich nicht in den Schacht. Dafür darf ich jetzt in der Mittagshitze trocken Richtung Orgosolo laufen. Ein Feuerlöschteich 4 Stunden von hier ist das Ziel, dem sich alles unterordnet. Bei 30°C beginnt sich bald alles um mich zu drehen. Übers westliche Randgebirge, dann über eine Forststraße nach unten.
So viel trinken, wie ich Durst habe, kann ich nicht. Nur etwa 2 Liter. Meine Flaschen fülle ich auch noch. 2/3 der letzten 20 km nimmt mich wieder jemand mit. Zum Glück. Sonst hätte das eine sehr teure Suchaktion gegeben. Abgemeldet war ich bis Mittag.
Andere sind auch unterwegs:
http://www.gentedisardegna.it/pop_printer_friendly.asp?TOPIC_ID=16403Was ich in den drei Tagen nicht in kameratauglicher Ruhe zu sehen bekam, waren Wildschweine.
Hier beim Genießen eines Hirschbratens.
http://www.youtube.com/watch?v=ZLBWYzgiU-MWir sehen, die Teile sind gefährlich. Also war ich ganz froh, dass die insgesamt 4 Rotten im buchstäblichen Schweinsgalopp an mir vorbeirannten, ohne mich eins Blickes zu würdigen. Wildschweine haben auf Sardinien keine natürlichen Feinde, außer ihren Artgenossen, die ihnen den Lebensraum streitig machen.
Hier wird der erste Schritt vom Wildschwein zur Wildschweinsalami gegangen
Das Auffinden ist kein großes Ding, denn spurloses Bewegen im Gelände ist nicht Sache des Borstenviehs
Zum Erlegen braucht man dann schon große Kaliber
. Wildschweinsalami ist sehr sehr lecker, und das Tier hat artgerecht gelebt.
http://www.youtube.com/watch?v=T_9Gsv_uikoEtwas friedlicher sind die Mufflons, eine Art Wildschaf
Die Hörner sind als Messergriffe begehrt, ich habe auch so ein Teil:
Zurück in der Pension, duschen, und dann erst mal ins Ristorante, wo man mich trotz des fürs Landesinnere recht freizügigen Auftretens (kurze Hose, ungewaschenes (aber noch sauber aussehendes) Hemd) wieder gern als Gast begrüßt. Die Hosenbeine starren vor Dreck, die hätte ich nicht anzippen können. Noch eine Nacht, dann geht es über Nuoro und Sassari nach Alghero. Und dort erst mal ins größte Nuraghendorf "Palmavera" der Insel.
http://www.youtube.com/watch?v=twLH676glcM