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Doch bald Mega-Skigebiet in Vent? (Gelesen: 1699 mal)
Wuschl
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Doch bald Mega-Skigebiet in Vent?
12.02.2004 um 07:42:53
 
Laut FAZ vom heutigen Donnerstag steht ein Zusammenschluß der Ötztaler Gletscherskigebiete unmittelbar bevor:


Alpen
Bergsteiger als Bergschützer
Von Gerhard Fitzthum

11. Februar 2004 "Sanfte" Touristen sind in den Alpen gar nicht so selten. Es sind Menschen, die sich in diesem sensiblen Naturraum nicht mit Hilfe von Motorfahrzeugen und anderen technischen Geräten, sondern mit eigener Muskelkraft fortbewegen und dabei auf bestehenden Wegen bleiben, also weder die Almwiesen zertreten noch in die Rückzugsräume der bedrohten Tierwelt vordringen. Sie nutzen das Gebirge, ohne das Landschaftsbild zu zerstören, Lärm zu machen, Abgase zu produzieren und unnötig Energie zu verbrauchen.

Mit solchen Urlaubern haben die Einheimischen nur ein Problem: Weil sie nicht in Massen auftreten und keine Eintrittskarte in die Landschaft lösen, bringen sie zu wenig Geld ins Tal, weniger jedenfalls als die Wintersportler, die eine riesige, energie- und landschaftsfressende Infrastruktur benötigen und diese über die Liftkarte teuer bezahlen. Deshalb blicken Gemeinden ohne nennenswerte Sport- und Spaßzone neidvoll auf die Zentren des Skitourismus. Wenn sich die Gelegenheit bietet, einen Teil von diesem lukrativen Geschäft abzubekommen, wechselt der Gemeinderat zumeist blitzschnell die Fronten - und der ruhe- und idyllsuchende Wandergast, der dem Ort jahrelang die Treue gehalten hat, zählt plötzlich nicht mehr.

Schlepplifte in Ruhezonen

Dieses Damoklesschwert schwebt zur Zeit über dem Tiroler Bergdorf Vent. Im einzigen noch ruhigen Seitenarm des Ötztals kursieren Planskizzen für einen Skilift, der zum Taufkarjoch hinaufführen soll, mitten durch die von der Landesregierung ausgewiesene "Ruhezone", in der die Errichtung von Schleppliften und Seilbahnen für die Personenbeförderung eigentlich verboten ist. Diese Anlage wäre der erste Schritt auf dem Weg zum Zusammenschluß der Pitztaler und der Ötztaler Gletscherskiarenen, dem eigentlichen Ziel der Bergbahnbetreiber. Zwar wurden die Pläne nach einem Sturmlauf der Naturschützer erst einmal zurückgezogen, erfahrungsgemäß ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder aus der Schublade geholt werden. Und die derzeitige Windstille ändert nichts am grundsätzlichen Problem: der wirtschaftlichen Dissonanz zwischen dem noch beschaulichen Vent und der Nachbargemeinde Sölden, in der man sich mit dem Skirummel seit Jahren goldene Nasen verdient. Dieser Konflikt hat jetzt den Deutschen Alpenverein (DAV) auf den Plan gerufen. Er gehört zu den schärfsten Kritikern der geplanten Skigebietserweiterung und befürchtet, daß die Alternative "Ski total oder wirtschaftliche Stagnation" die Bewohner des Bergsteigerdorfs auf lange Sicht in die Arme der Wintersportlobby treiben wird. Ganz selbstlos ist das plötzliche Engagement nicht, denn der DAV hat an den Talschlüssen von Pitztal und Ötztal einiges zu verlieren: Mit acht eigenen Hütten ist das Wildspitzgebiet eines seiner prominentesten Bergsportreviere.

Aus diesem Grund vollzieht der weltweit größte und einflußreichste Bergsteigerverband nun den Strategiewechsel, den er 1994 in seinem Grundsatzprogramm schon formuliert hatte: weg von einem bloß verhindernden und hin zu einem gestaltenden Naturschutz. "Wir wollen", so Stefan Witty, der Naturschutzbeauftragte des DAV, "nicht länger immer nur nein sagen, sondern der lokalen Bevölkerung wirtschaftliche Alternativen aufzeigen und auch bei der Umsetzung helfen." Millionen von Euro hat der DAV schon in die Sanierung der Venter Hütten und Wege gesteckt, um das touristische Kapital des Bergsteiger- und Skitourengebiets effektiver ausschöpfen zu können. Ansatzweise sei das auch schon gelungen, sagt Witty: "Die Zahl der Gäste, die im Sommer zu Fuß oder im Winter mit Tourenskiern kommen, ist in den vergangenen beiden Jahren um zwanzig Prozent gestiegen, und es werden noch mehr werden, weil wir ab dieser Wintersaison wieder alle Hütten der Ötztaler Skirunde offenhalten." Im Rahmen der Aktion "Pro Vent", einem Bündnis von DAV, Österreichischem Alpenverein und örtlichem Tourismusverband, sollen fortan jedes Jahr weitere fünfzigtausend Euro in die Sicherung und den Aufbau naturverträglicher Infrastrukturen investiert werden.

Die Verantwortung des Touristen 


Damit ist die Wende eingeleitet, an die viele schon nicht mehr geglaubt hatten: Der von Kritikern immer wieder als "ADAC der Bergsteiger" verhöhnte DAV beschäftigt sich nicht länger nur damit, die kurzfristigen Freizeitbedürfnisse seiner Klientel zu bedienen, sondern übernimmt an Ort und Stelle Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung, von der zuletzt auch seine eigene Zukunft abhängt. Der auf die Gipfel gerichtete Blick schwenkt nun gleichsam in die Täler hinunter, die die Alpinisten ansonsten so gerne hinter sich lassen. Mit etwas Glück kündigt sich mit dem Venter Modell sogar ein Paradigmenwechsel im organisierten deutschen Hochgebirgstourismus an. Über ihre Mitgliedsbeiträge würden die anreisenden Bergfreunde dann den Landschaftsschutz mitfinanzieren, den sie in der Vergangenheit als alleinige und selbstverständliche Aufgabe der einheimischen Bevölkerung betrachtet hatten.

Der DAV verlangt außerdem die Festlegung eindeutiger Ausbaugrenzen für die bestehenden Skigebiete. Er nähert sich damit der alten Forderung von Reinhold Messner nach einem grundsätzlichen Erschließungsstopp in den Hochlagen der Alpen an. Daß sich die Tiroler Politiker auf diese Diskussion einlassen werden, darf allerdings bezweifelt werden. Seit den jüngsten Wahlen kann die Tiroler ÖVP ähnlich frei schalten und walten wie die CSU im benachbarten Bayern. In einer ersten Regierungserklärung hat sie deutlich gemacht, daß sie den gesetzlichen Gletscherschutz in Einzelfällen aufzuheben gedenkt. Gemunkelt wird, dies werde überall dort der Fall sein, wo es sich "um wirtschaftlich benachteiligte Gebiete" handele. Wirtschaftlich benachteiligt erscheinen Orte aber immer, wenn sie von Goldgruben des Massentourismus umgeben sind.



Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.02.2004, Nr. 36 / Seite R2
http://www.faz.net/s/Rub6F18BAF415B6420887CBEE496F217FEA/Doc~E172D2C28B64F4E11AD...

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