Jobi
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It´s lonely in the sadle, since the horse died.
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Danke für die Wünsche an Anne: Sie hatte großes Glück im Unglück. Die Bergwacht tippte auf Beckenbruch, hoffte aber auf "nur üble Prellungen". Wir haben einige Stunden im Krankenhaus in Pirna verbracht, um herauszufinden, daß die Hoffnung berechtigt war, das Röntgenbild war nicht so eindeutig. Hätte ein Kletterfreund nicht schnell reagiert, wär der unbehelmte Schädel statt dem Becken aufgekommen... ...und auch David, der direkt daneben stand, klettert - wie sein Jugendleiter gestern meinte - unbeschwerter denn je. Ob mir das so gefällt weiß ich nicht...
Zum Klettern in Sachsen. In der Tat bringt der weiche Sandstein ein paar Besonderheiten. Bitte verzeiht mir, wenn ich etwas weiter aushole, aber vielleicht ist es für den ein oder anderen interessant, ansonsten überlest es einfach.
A) Schauen wir zuerst die wenigen vorhandenen Ringe an.
Zum einen gibt es da die Physik. Materialien, etwa Zwei-Komponenten-Kleber, wie sie in anderem Gestein verwendet werden würden aus dem Sandstein zusammen mit den obersten Körnern einfach wieder herausgezogen werden. Das bringt nix. Die Ringe müssen im Stein "klemmen". Zu diesem Zweck werden die Bohrlöcher mit Blei ausgelegt. Der eingebrachte Stahlring fängt dann schnell an zu Rosten: Das ist gewollt. Die chemische Reaktion bläht den Ring im Fels regelrecht auf und so sitzt er wie eine übergroße, harte Schlinge tief im Stein fest. Das Material ist natürlich nicht beständig wie etwa V2. Schwachpunkt sind die Scheißnähte in den Ringen.
Dann gibt es die Tradition - eine Tradition, welche zur Harmonisierung der Gruppen NaBu bzw. Nationalparkranger und den Kletterern notwendig ist und auch zum erhalt der einzigartig schönen Landschaft seine Berechtigung hat: Ich wünsche mir, daß diese Erkenntnis einfach außer Frage steht.
Ein Weg findet nur und ausschließlich dann Einzug in die Kletterführer, wenn alle traditionellen Regeln eingehalten wurden. Ringe werden traditionell aus der Kletterstellung(!) geschlagen und erlaubte Hilfmittel sind Kronbohrer (Hammer-betrieben) und normale Klettersicherungen: KEINE Bauhaken, kein Einrichten der Route von oben, keine Holzkeile. Der Erstbegeher klettert von unten an die Stelle heran, an der ein Ring den Fels zieren soll. Er hat ausschließlich Schlingen um sich abzusichern, aus denen er günstigenfalls eine Schwebesicherung herstellen kann. Aus dieser Situation heraus hämmert er mittels Kronbohrer ein Loch in den Fels (Akku-Bohrer wurden schon gesichtet, sind aber nicht weitreichend akzeptiert!), legt es mit Blei aus und setzt schlußendlich den Haken. Logisch, daß also nicht so üppig viele Ringe gesetzt werden und diese manchmal auch nicht an den exponiertesten Stellen der Route anzutreffen sind...
Zu guter Letzt muß der Weg vom Arbeitskreis anerkannt werden. Die Anerkennungsquote liegt in der letzten Zeit zwischen 80% und 90%.
Fazit: Einem sächsischen Ring muß man nicht 100%ig vertrauen - das hat Einfluß auf die Klettertaktik!
B) Die sächsische Schlingen-Kunst
Wer hat nicht schonmal einfach im Sandkasten gespielt oder am Strand Burgen gebaut. Man macht den Sand naß und formt tolle Figuren daraus. Alles ist gut, die Figur hält großflächige Impulse ganz gut aus. Sticht man aber an einer Stelle rein, geht das ohne erkennbaren Widerstand. Und Wasser ist Gift, für das Kunstwerk.
Sehen wir die skurielen Felsformationen im Elbi als mit göttlicher Hand geformtes Kinderspielzeug, für uns große Kinder. Wie erwähnt ist zB Wasser Gift für den Fels: Die bekannte Barberine ist entsprechend lädiert und immer wieder, zuletzt im vergangenen Jahr, fällt auch mal ein Türmchen in sich zusammen (Wer mag jetzt noch auf die Herkulessäulen *g*). Dies ist der Grund, weshalb das beklettern nasser Felsen im Elbi absolut verboten ist und Zuwiederhandlung von der Natur mit dem Tode bestraft wird.
Weiche, flächige Impulse werden vom Sandstein eher freundlich aufgenommen, spitze hingegen mit Ausbrechen beantwortet. Dies macht Sicherungsgerät der Bauarten Klemmkeil und Friend unbrauchbar: Diese zieht man mit erschreckend geringem Aufwand mitsamt umgebenden Gestein heraus.
Die Lösung sind Knotenschlingen: Bei plötzlicher Belastung verformen diese sich, passen sich der Felsoberfläche an und die textile Oberfläche erhöht die Reibungswerte. In der Folge trofft ein weicher, großflächiger Impuls auf den Fels: Das hat die Chance zu halten.
Nun ist es so, daß die Reißfestigkeit unter diesen Umständen nicht geprüft ist. Das Umgebende Gestein trotzdem ausbrechen kann. Der Knoten brechen oder sich lösen kann. Alle diese Umstände lassen sich nicht so einfach und gründlich ausschließen, wie etwa bei Klemmkeilen im Kalk oder Friends im Granit.
Fazit: Es muß nicht halten, hauptsache es bremst?
Nein. Ich habe die Sachsen als sehr bewußte Kletterer kennen gelernt. Viele "Sportkletterer" (nicht abwertend) verlassen sich blind auf das Material. Bei den Sachsen habe ich ein erheblich verfeinertes Risikomanagement beobachten können. Will heißen, ein "Sportkletterer" legt einen Keil, wie er es gelernt hat, denkt aber nicht über alle Randaspekte nach. Er verlässt sich auf die gelernten Abläufe. Er legt den Keil an der Stelle, die im Kletterführer beschrieben ist. Er verwendet das Standart-Express-Set.
Der Sachse legt seine Schlinge an den notwendigen Stellen und meditiert erstmal, was die Schlinge eigentlich genau absichert - und was vor allen Dingen nicht! Er denkt darüber nach, ob die Schlinge halten wird. Tut sie das nicht, nimmt er sie wieder mit: "Angstschlingen" werden eher selten gelegt, den trügerische Sicherheit ist erhöhtes Risiko! Wegen des besseren Seilverlaufes verlängert er manche Schlinge, bei anderen hängt er statt Exe ienfach einen Karabiner ein, bei wichtigen einen Schrauber(!). Am Ende kann er sich voll auf seine Schlinge verlassen und weiß genau, was er vermeiden muß.
Fazit: Da, wo es halten muß, hält es. Garantiert.
C) Die Klettertechnik aus der Halle ist im Elbi für die Füsse.
Wer im Elbi klettern geht muß - so wie im Fels an anderer Stelle, aber vielleicht noch etwas mehr - andere Techniken beherschen, wie dies in Halle gut geübt werden kann. Klemmen, Piazen (sächsisch: Hangeln) und Kaminklettereien gehören ebenso dazu, wie der Mut zum Überwinden von Reibungsplatten, Sprüngen und Übertritten und Baustellen.
Ich habe einige Hallenkletterer mit dem Profil >7 im Elbi in vierern zitternd mitten in der Route abbrechen sehen. (Und umgekehrt)
Nicht umsonst werden beim Treffen junger Bergsteiger durch den SBB Dinge abgefragt, auf die in anderen Gebieten kein Mensch kommen würde. Jeder junge Bergsteiger wird schon im ersten Jahr in Fächern wie Erste Hilfe, Abseilen und Jümmern (Prusiken), Sturzhalten, Orientierungslauf und nur wenig später in Kameraden-Bergung geprüft.
Nunja, länglich *pfeif* sorry *betröpfeltGuck*
Als Gesamtfazit: Wer ins Elbi klettern geht, wird einzigartige Eindrücke mitnehmen. Die Natur dort ist sagenhaft schön, die Selbstüberwindung bei Klettern macht so manchen Ausflug in Indische Meditationslager zwecks Selbstfindung überflüssig. Es ist aber dringend anzuraten, im Elbi sehr sehr lange nur mit erfahrenen Locals mitzugehen.
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