Kurze Version:
Von Virgen (1200m) über die Wetterkreuzhütte (2100 m) zur Zupalseehütte (2350 m). Weiter zur Lasörling-Hütte (2300 m), und über das Berger Törl (2800 m) zur Berger-See-Hütte (2200 m). Nochmal weiter über den Muhs-Panorama-Weg, die Michltalscharte (2750 m), den Kleinbachboden (2400 m) und die Rote Lenke (2800 m) zur Reichenberger Hütte (2600 m). Von dort wieder hinab auf die Pebellalm (1500 m). Eine wirklich geniale Tour, mit urwenig Leuten unterwegs, ohne überfüllte Hütten, und bei genialem Wetter, das nur am letzten Tag ein klein wenig eintrübte!!!!
Lange Version:
Der letzte Urlaub ist schon wieder lange her, wann es den nächsten gibt, steht noch in den Sternen. Also sollte wenigstens die Chance auf einen Kurztrip genutzt werden, wenn ich schon 5 freie Tage quasi geschenkt bekomme. Man muss ja nicht gleich den Kontinent wechseln, auch vor der Haustür kann man sicher jede Menge erleben. Man könnte Kanu wandern, oder ein Stück vom Jakobsweg gehen, eine Hüttenwanderung machen oder einen Städtetrip nach Barcelona…
Schliesslich soll es die Hüttenwanderung werden. Marisa hat noch jede Menge Urlaub, hat von ihrem Physiotherapeuten, der sie nach ihrer Schulteroperation betreut, grünes Licht bekommen, und kommt also auch mit. Perfekt, denn wir sind schon ein recht gut eingespieltes Team, auch wenn wir sowas in der Form noch nie gemacht haben, und auch noch keine Ahnung haben, wo es hingehen soll. Mein Bruder hat jede Menge Material und hilft aus. So suchen wir uns 3 Routen aus, das Wetter soll entscheiden. Doof nur, dass es in diesen Tagen in der ganzen Alpenregion schönes Wetter geben soll. Wir müssen also mal wieder selbst die Entscheidung treffen, und so nehmen wir einfach die Route mit der kürzesten Anfahrt: wir wollen den Lasörling Höhenweg in den Hohen Tauern gehen.
Dazu fahren wir am Mittwoch bis Virgen, wo wir das Auto stehen lassen, und von dort aus gelangen wir in einem recht gemütlichen Anstieg über die Wetterkreuzhütte bis zur Zupalseehütte. Es bleibt dabei genug Zeit immer wieder hinüberzuschauen zum grossartigen Panorama vom Venediger Höhenweg. Wir sind ganz allein unterwegs, es begegnet uns keine Menschenseele. Die Sonne scheint warm auf den Rücken, und taucht die Gletscher in gleissendes Spätnachmittagslicht. Wir erwischen gerade noch ihre letzen Strahlen, als wir die Zupalseehütte erreichen verschwindet sie hinter einem der hohen Gipfel. Das macht aber nichts, drinnen in der Hütte werden wir freundlich von der Wirtin empfangen, die im Kamin schon Feuer geschürt hat, und uns wenig später ihr köstliches hausgemachtes Gulasch serviert. Wir verbringen einen wahrhaft zünftigen Hüttenabend, für die Stimmung sorgt die 6-köpfige holländische Männertruppe, die uns mit Gitarre und Akkordeon unterhalten. Das nette Linzer Pärchen ist nicht zum ersten Mal hier, und die beiden empfehlen uns am nächsten Tag über die Lasörling-Hütte noch weiter bis zur Berger-See-Hütte zu laufen.
Nach einem leckeren und stärkenden Bauernfrühstück geht’s weiter. Bis zur Lasörling-Hütte geniessen wir den Höhenweg, der nach wie vor nur leicht ansteigt. Danach wird es bald steiler, und es dauert nicht lange, bis wir beide zum ersten und längst nicht zum letzten Mal keuchend diejenige verfluchen, die diese Schnapsidee hatte, hierher in die Berge zu kommen… Aber wir kämpfen uns weiter vor, bis wir ungläubig vor dem letzten Anstieg vom Berger Törl stehen. Es kann einfach nicht sein, dass wir wirklich da hoch müssen! Völlig unmöglich! Irgendwo müssen wir uns verlaufen haben, und einen falschen Abzweig genommen haben. Aber ein Blick auf die Karte verrät, es gibt keinen anderen Weg. Scheisse!! Zurück wollen wir jetzt auch nicht mehr, also müssen wir wohl oder übel da rüber. Scheisse! Ich versichere Marisa, dass der Weg nicht wirklich schwierig ist, einfach nur anstrengend. Obwohl ich mir eigentlich darüber selber gar nicht so sicher bin. Aber geht nicht gibt es bekanntlich nicht. Und sogar die allerletzten Höhenmeter, die mit Drahtseil gesichert sind, schaffen wir schliesslich ohne abzustürzen. Und wir staunen nicht schlecht über uns selbst!! Jetzt müssen wir nur noch runter, ganz unten können wir am See schon die Hütte erkennen. Aber bis dahin ist es noch ein langer und noch anstrengenderer Weg. Wir sind heilfroh, als wir es endlich geschafft haben, und können es immer noch nicht so richtig glauben, als wir über den See hinweg zurückschauen auf die teilweise nahezu senkrecht aufsteigende Wand, an der wir irgendwie heruntergekommen sein sollen.
An diesem Abend ist mit uns nicht mehr zu rechnen. Es ist uns auch egal, dass hier die Dusche angeblich nur ein schwaches Rinnsal hergibt, wir probieren es nicht mal aus und fallen nach dem Essen nur noch ins Bett. Trotzdem ist an Schlaf kaum zu denken, beide können wir nicht einschlafen, warum auch immer. Am Lärm einer überfüllten Hütte kann es jedenfalls nicht liegen, wir haben unser eigenes kleines Zimmer, das andere Pärchen ist nicht zu hören, und auch die drei Leipziger Jungs, die noch nach uns eintreffen und das Zimmer neben uns belegen, sind nicht so laut, dass sie stören würden. Eigentlich verspüre ich überhaupt keine Lust mehr, heute noch einmal aus dem Bett zu steigen und mich auch nur noch 1 Meter zu bewegen. Marisa geht es auch nicht anders und sie ist zu nichts zu überreden, und so treiben mich die Verzweiflung und der Durst doch nochmal einen Stock tiefer, wo ich begeistert von den drei Jungs empfangen werde. Sie haben schon vom „Abenteuer" ihrer Zimmernachbarinnen gehört und sind natürlich neugierig. Ich komme nicht aus und muss berichten. Marisa muss oben leider etwas länger auf ihren Durstlöscher warten, es wird doch noch ein netter Tagesabschluss…
Etwas gerädert, mehr von der kurzen Nacht als von der gestrigen Anstrengung, schleppe ich mich zum Frühstückstisch. Aber ein Blick nach draussen auf das herrliche Panorama bei strahlend blauem Himmel, lässt schnell wieder Freude aufkommen.
Wir finden, wir haben es uns redlich verdient, also wollen wir es heute wieder etwas gemütlicher haben, da kommt uns der Panorama-Weg zur Lasnitzer Hütte gerade recht, und wir lassen es etwas ruhiger angehen und brechen als letzte auf. Trotzdem haben wir die Leipziger Jungs bald wieder eingeholt, und lassen sie hinter uns. Auch heute bleiben sie die einzigen Menschen, denen wir den ganzen Tag begegnen. Die Murmeltiere, die sich immer schnell aus dem Staub machen, sind weit in der Überzahl. Und auch eine ganze Herde Gemsen gibt uns die Ehre. Es ist noch nicht mal Mittag, als wir unter uns die Lasnitzer Hütte erblicken. So früh hatten wir damit noch nicht gerechnet, wir liegen also gut in der Zeit, und könnten es auch bis zur Reichenberger Hütte schaffen, wo auch unsere Jungs hinwollen. Marisa hat die Karte, und ich überlasse ihr die Routenwahl. Die Jungs wollen den einfacheren Weg gehen. Wir natürlich auch. Daher sind wir etwas perplex, als wir erkennen, dass die woanders abbiegen als wir. Aber wir sind uns sicher, dass die sich vertan haben müssen, wir liegen richtig!! - Oder doch nicht? Wir haben den viel steileren Anstieg, viel schneller gewinnen wir an Höhe, und schon bald blicken wir auf die drei Ameisen hinab, die sich den anderen Weg hinaufquälen. Bestimmt wird es danach für uns viel einfacher, denken wir erst noch zuversichtlich. Unsere Stimmung sinkt allerdings schnell, als wir endlich den ersten Gipfel erreicht haben, und vor uns nichts weiter sehen als nur noch mehr Gipfel in scheinbar unerreichbarer Höhe. Scheisse!! Wer hatte diese blöde Schnapsidee??!! Und wer hat diese verdammte Route ausgesucht??!! Verflucht!! Es hilft alles nix, wir müssen weiter. Erst wieder etwas hinunter. Warum hat man hier noch keine Brücke gebaut, oder wenigstens Rolltreppen?! Wir quälen uns über Geröll und steile Anstiege weiter, hinab und wieder hinauf. Gar nicht mehr sicher, dass wir heute überhaupt noch irgendwo lebend ankommen werden, denn wieder bleiben uns Passagen mit Drahtseilen nicht erspart.
Es kommt uns wie Stunden vor, als wir endlich den eigentlichen Gipfel erklommen haben. Auf der anderen Seite kriechen tief unter uns drei Ameisen, sie haben ihren Grat längst hinter sich gelassen, und sind uns jetzt bestimmt eine Stunde voraus. Waren die also doch richtig. Aber das ist jetzt Nebensache. Wir blicken in ein Tal, das nur von weiteren Gipfeln umgeben ist. Zwischen der Alm unter uns und der Reichenberger Hütte liegt noch ein weiterer Grat, über den man drüber muss. Wir haben keine Lust mehr. Aber wir haben keine Wahl, hier oben können wir nicht bleiben, wir müssen weiter. Mit tiefster Überzeugung kündigt Marisa beim Abstieg schon an, dass sie heute ganz sicher nirgends mehr hinauf steigen wird. Scheisse, schöne Aussichten! Naja, ich lass sie erstmal reden. Weiss auch nicht, ob ich nochmal irgendwo rauf möchte heute. Eigentlich eher nicht. Erstmal Pause auf der Alm. Wir studieren die Karte. SCHEISSE!! Keine besonders aussichtsreichen Perspektiven. Der Weg hinunter ins Tal ist weitaus länger als jede mögliche andere Überquerung, und abwärts ist sowieso anstrengender als hinauf. Dann könnten wir noch zurück zur Lasnitzer Hütte, diesmal über den richtigen Weg, den unsere Jungs genommen hatten. Aber der ist auch nur 50 m niedriger als der Aufstieg zur Roten Lenke, der Überquerung zur Reichenberger Hütte. Was bleibt uns übrig, wir nehmen die Verfolgung auf.
Zum Glück ist der Anstieg diesmal weitaus weniger schlimm als er von weitem ausgesehen hat, und wir kommen überraschend gut voran. Selbst die Rucksäcke wiegen auf einmal nicht mehr so schwer. Und der Abstieg zur Hütte, die vom Gipfel aus schon in fast greifbarer Nähe scheint, ist dann nur noch ein Spaziergang. Wir schaffen es dann sogar noch rechtzeitig, um unser erstes Glas erfrischenden Holundersaft noch auf der Terrasse in der Sonne geniessen zu können, bevor die wieder hinter den uns umgebenden Dreitausendern versinkt. Wir sind einfach nur glücklich und irgendwie auch stolz, es doch noch geschafft zu haben und jetzt hier sitzen zu dürfen. Was kann es schöneres geben??
Am nächsten Morgen, nach einer wieder weitaus schlaflosen Nacht, ist am gemeinsamen Frühstückstisch wieder Routenplanung angesagt. Auch die Jungs müssen am Sonntag zurück, und müssen daher so wie wir langsam an den Abstieg ins Tal denken. Da liegt es nahe, dass die Pebell-Hütte zu unserem gemeinsamen Etappenziel wird. Allerdings macht uns ein Anruf bei der Hütte schnell einen Strich durch die Rechnung. Dort gibt es nämlich nur ganz wenig Schlafplätze, und die sind schon reserviert. Marisa und ich müssen umdisponieren. Ich wäre gerne noch weiter zur Clara-Hütte gegangen um erst anderntags ganz abzusteigen. Aber vermutlich war es schon besser, gleich abzusteigen, denn bestimmt wäre ich am nächsten Tag auch kaum noch einer Bewegung fähig gewesen, und man hätte mich dann entsorgen müssen. Man muss es ja nciht gleich übertreiben. Ausserdem ist das Wetter heute auch nicht so gut, erst hängen die Wolken noch unter uns, bald aber tauchen wir schon mitten hinein und kommen bis ins Tal hinunter nicht mehr daraus heraus. Unten an der Pebell-Alm kommen wir urplötzlich in einer anderen, befremdlichen Welt an. Wir platzen in ein Panorama wie in einem schlechten Heimatfilm. In grossen Bussen kommen die Tageswanderer hier an und es geht zu wie auf dem Rummelplatz, und wir kommen uns fast deplatziert vor mit unseren 30-l-Rucksäcken. Während wir bei einer letzten Suppe das seltsame Treiben beobachten, kommen wir zu dem Schluss, dass dies sicher nicht unsere letzte Tour gewesen sein wird…
Und die Bilder dazu gibt's hier:
http://service.gmx.net/mc/HvhYj1FLg38GK13rqQP3R9DgIYPhS1