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Das Winterraumfondue (Wildspitze/Brochkogel II) (Gelesen: 6876 mal)
Vogelfreund
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W-Nds
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Das Winterraumfondue (Wildspitze/Brochkogel II)
27.10.2005 um 01:50:51
 
Anläßlich des ... traditionellen Winterraum-Fondues der SAN am 15./16.10.2005 präsentierte sich Vent – der Ort eines der „Anschläge“ der TIWAG (Stausee-Projekt Rofental) – von seiner schönsten Seite: Goldener Oktober mit wahrlich gelben Lärchen im Tal, nahezu fehlende Wolken und einer tagsüber angenehmen Wärme in der Höh´. Zudem gab es klare Aussichten und markante Kontraste zum noch frischen Schnee der letzten Tage.

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Herbstwald unterhalb von Vent.

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Blick von der Breslauer Hütte zu Ramolkogel, Spiegelkogel und Firmisanschneide.

Aus dem Nordwesten kommend, war ich an der Breslauer Hütte (2844 m) erster und letzter zugleich, vor allem im Winterhaus; der weiteste aller Wege sollte sich schon von daher lohnen. Am Freitag waren bis zur Dunkelheit nur drei Leut´ auf der Breslauer Hütte, zwei rüstige Senioren noch. In der Ruhe vor dem (An)Sturm spielte die Sonne mit ihren Farben.

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Hüttenaussicht: Großer Ramolkogel (3550 m) und Hinterer Spiegelkogel (3426) am Abend.

Erst spät kam weitere Gesellschaft: Zuerst trudelte Patricia ein, viel später noch fünf wackere Nachteulen mit Stirnlampen (Gisela, Christine, Alex, Nowak, Berni) und „störten“ die bereits eingetretene Nachtruhe. Folglich war die erste Gruppe nordwandig ausgerichteter Berggänger mit vollständiger Ausrüstung in bester SAN-Manier formiert. Mindestens aber das Wetter spielte nicht mit, es war gar nicht schlecht ...

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Aufstieg im Mitterkar, etwas mühsam doch (15.10.2005).

Richtig widerspenstig war der Untergrund in der Früh. Schnee zwar, aber mehr Bruchharsch: Du trittst drauf und Du trittst durch – nicht immer, aber immer wieder, nach Belastungswechsel. So eine Woche war da niemand mehr, die Spuren zugeweht. Hilfreich, wenn man Stöcker hat/hätte, gerade hier, aber stolpern sieht von hinten zuweilen ja auch lustig aus. Dann noch das Mitterkarjoch: So steil, dass Herzen klopften. Das roch nach Verlusten.

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Mitterkarjoch (3468 m): Die Aufstiegsspur verläuft nicht gerade hoch, sondern im unteren Drittel der Rinne schräg links empor zum dortigen tiefsten Punkt; etwas Fels wird berührt.

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Blick zurück zum Mitterkarjoch (links unten) mit dem noch unberührten Hinteren Brochkogel (3635 m). Mittig im Hintergrund die Weißseespitze (3526 m).

Schließlich kam, was kommen musste: Die heilig erscheinende Wildspitze samt unberührtem Brochkogel sahen doch nur vier der sieben Leut von oben, und vom Normalweg aus. Ade Nordwand – der Geist des Hasei war also mit uns. Dafür konnten die Eisgeräte wenigstens Luft schnuppern und manch Seil fühlte sich zu Recht gewogen.

Allemal war es oben schön ruhig, durchaus warm, und richtig weit zu gucken war es auch noch: Ortler und Bernina in der Ferne, Weißkugel und Similaun in der Nähe, doch davon später. Irgendwo sei auch die Zugspitze weiter nördlich gewesen, hieß es, aber ... tiefe Hügel – manch einer sagt „Deiche“ – muß ich doch nicht würdigen, oder?

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Heilige Wildpitze (3774 m). Aus der Nähe betrachtet ist das schlichte Metall durch reichlich Aufkleber verdreckt; ein Buddha fehlt.

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Wildspitze-Nordgipfel mit zwei beachtlichen Wächten.

Daß Christine ihren Eispickel unterhalb der Gipfelfelsen zu den etwas gelangweilt schon da stehenden Stöckern hinzufügte, war diesen vielleicht sympathisch. Bloß beim Abstieg war er dann nicht zur Hand. Wie gut wenn man zeigt, was man hat, und sein ganzes Metall mit sich schleppt, so kam das zweite Eisgerät als Stützpickel doch noch zum Einsatz. Auch das Mitterkarjoch hinunter verzichteten wir auf Steigeisen – bis auf derjenige, dem sonst eine Schuhsohle seiner La Sportiva selbständig geworden wäre. Ein bisserl Übung sollte sein: Der teils steile Firn war trittfest, was bergwärts gewandt bzw. seilfrei abwärts mit Kopfstützpickel durchaus ging. Dumm nur für die Kurzen, dass nahezu alle Tritte von den Langen stammten. Der Zwergentot lebte auf.

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Abstieg: Christine, Gisela & Nowak. Von Schlechtwetter keine Spur, sogar 2 weitere Gruppen lassen sich blicken!

Samstag-Nachmittag zurück, war das Winterhaus der Breslauer Hütte längst voll und noch nicht einmal alle SAN´ler da. Einer sogar, der kam halbnackig hinauf ... nur Rucksack und Radlerhose schützten. Andere Gruppen drehten wohl ein bisserl enttäuscht an der Hütte wieder talwärts um. Dass dieser Winterraum bei einem solchen Wetter übers Wochenende aber knallvoll werden würde, he Leut´, das war doch wohl klar. First come, first serve.

Irgendwann waren alle da und auch die lieben Winterraummitbenutzer mit ihrem Abendessen mehr oder weniger fertig. Alle profitierten längst von Jörg´s falt- und schleifbaren Wasserkanistern. Nun war Zeit für uns ... 14, den Platz einzunehmen, alles raufgeschleppte zu kredenzen und das Fondue mittels zweier Kocher und unzähliger Gabeln anzugehen. Unglaublich, was da ans Licht kam. Einiges sei herausgegriffen: Werner hatte einen halben Kubikmeter Baguette angeschleppt. An Wein, Bier & Schnaps gab es reichlich (z.B. Lampi, Yak, Jörg), fast alles war in Glas und Plastik vorhanden, teils professionell getarnt; und manches davon blieb gar übrig. Fleisch vielartiger Herkunft wurde kredenzt, dazu selbstgemachte Saucen vergnüglichster Art sowie Gemüse nahezu aller Formen, Farben und Konsistenzen – Lisanne, Gisela und Elli fielen (auch) hier extrem angenehm auf. Hinein damit ins Fondue! Zuletzt Desserts schokoladiger und plätzlicher Art (Lampi), sogar Chips (Yak). Herzhaft figurbetonend das Ganze – mit Fotos (irgendwer hat doch ...) ist dieses herrliche Chaos gar nicht würdig genug darstellbar.

All das währte – und so ab 23 Uhr Sommerzeit regte sich tatsächlich leichte Unzufriedenheit in irgendwelchen Ecken des Winterhauses. Nein, den Hirschen konkurrierende Schnarcher sollten nicht erdrosselt werden. Aber bestimmt hatten da welche ihre Ohrstöpsel bloß vergessen. Oder sie waren angesichts ihren kargen kulinarischen Mitbringsel ein klein wenig grätzig darüber, selbst leicht weniger Phantasie gehabt zu haben, als so einige von uns. Und dazu mussten die schon flachliegenden fremder Sektionen noch diese wohligen Düfte erleiden; bitter. Nicht allzufern jedoch gaben wir nach und nach, insbesondere dem aktuellen Gewicht. Schließlich stand ja noch eine ehrenhafte Aufgabe an!

Wie auch immer, viel zu früh am Morgen und noch vor allen anderen im Haus stellte sich eine neue SAN-Fraktion den Unbilden des Wetters und in völliger Dunkelheit stach das Gros gen Mitterkar von dannen. Nicht einmal der Wind ging. Selbst der Vollmond war längst untergegangen. Nur Stirnfunzeln halfen bei der Wegefindung. Kälter war es als am Vortag, doch die Schneespur längst breit genug. Die Nordwand des Brochkogels sollte es werden – das geht nur zeitig.

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Wildspitze (3774 m) mit Mitterkarjoch (3468 m). Der Normalweg verläuft im Bogen links zum Bildrand, auf den Gipfel gelangt man von rechts. Vorn Nowak´s Kampfspur am Brochkogel-Ostgrat.

Doch schon bis zum teils wohlbekannten Mitterkarjoch zerbröselte die Fraktion und musste – wie in Berlin – die Macht der Realitäten in unterschiedlichster Manier anerkennen. Zu spät für die Brochkogel-Nordwand vernahmen die ausgekühlt hier wartenden schließlich, denn einige wollten um 17 Uhr Vent schon wieder erreicht haben (klappte auch nicht).

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Brochkogel-Ostgrat am 16.10.2005 knapp vorm Gipfelfirnfeld.

Was tun? Sechs jedenfalls turnten zum Ostgrat des Brochkogels und wollten dabei noch eine kleine Seillänge Nordwand erspüren; zwei Skeptiker schauten vom fernen Joch aus zu. Doch war der Firn ab dem Bergschrund bald meterhoch und es artete in Wühlerei aus, denn eine Verbindung waren Firn und Eis nicht wirklich eingegangen. Steigeisen wollten nicht alle mehr aufziehen (dauert zu lange ... Kipphebel?) und so gingen sie davon, erst eins, dann zwei, dann noch einer. Nowak hingegen, der losen Sohle wegen mit Steigeisen armiert, stieg zuletzt seilfrei durch und wartete oben auf die vermeintlichen fünf. Weit gefehlt, nur Vogelfreund ging am Einstieg die verschneite IIer-Stelle am teils schmalen Fels hinauf. Die von Lampi beargwöhnte IIIer-Stelle weiter oben gab’s dann gar nicht. Den avisierten Brochkogel erreichten also immerhin zwei über den leicht verschärften Normalweg. Immerhin wiederholten Yak, Andrea und Lampi noch die Wildspitze via Normalweg und genossen ebenso die klare Sicht ins Weite. So wurde immerhin noch ein zweites der fünf Seile ausgerollt.

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Similaun (3599 m) vom Brochkogel aus (16.10.2005).

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Das Dreigestirn Königspitze, Zebru und Ortler (3905 m).

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Weißkugel (3739 m), hinten rechts Piz Bernina (4049 m). Dazwischen unten ist – im kleinen Firndreieck – sogar das Brandenburger Haus (3274 m) mit drauf.

Einige der auf der Hütte gebliebenen wollten auf´s Wilde Mannle (3019 m), dem östlich benachbarten Hausberg der Breslauer Hütte. Ob sie da auch waren? Allemal klarten sie die Bude hervorragend auf – werten Dank! Weg also waren sie und den zurück gekommenen blieb nur noch die Restepfanne zu brutzeln. Genug Zeugs war ja da, selbst zwei der abends grummelnden bekamen noch etwas warmes.

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Spätabend an der Breslauer Hütte. Ein Stern und wenige Lichter im Schnalstaler Skigebiet.

Vogelfreund störte das nervöse Packen all der andern gar nicht. Er blieb einfach noch und schlief bis Montag mehr als 12 Stunden. Der ruhige Abend am Sonntag war schließlich ein Genuß – ein wenig Rum (hier oben auch Grog genannt) würzte die grandiose Stimmung.

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Breslauer Hütte (2844 m), mittig das Winterhaus.

Drei vergessene Zucchini kamen tags drauf mit talwärts. Der südafrikanische Wein in Glasflasche blieb da. Bestimmt freuten sich die vier Niederländer, die sich tags drauf hinauf wuchteten.

Merci allen für die ... bunte Gesellschaft! Und gerne wieder.

Vf


P.S.: Und verzeiht – irgendwas blieb vermutlich nicht adäquat gewürdigt ...
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« Zuletzt geändert: 28.10.2005 um 00:36:17 von Vogelfreund »  
 
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Ulli
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Re: Das Winterraumfondue (Wildspitze/Brochkogel II
Antwort #1 - 27.10.2005 um 10:48:03
 
Welch wunderbarer, literarisch von höchstem Niveau beseelter, von sehnsuchtsweckenden Bildern gekrönter Bericht!

Dafür ein extra  Smiley von mir!

Liebe Grüße
Ulli

PS: Nur die Fondue-Fotos fehlen noch  Grinsend
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Yak
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Um mani padme hum

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Re: Das Winterraumfondue (Wildspitze/Brochkogel II
Antwort #2 - 27.10.2005 um 15:02:56
 
Wahnsinn, die reinste Poesie der Bericht.

Aber ein Gedicht war das Wochenende ja wahrlich und dem wird das Werk wirklich gerecht.

Ich hoffe noch öfter solches zu lesen, endlich mal ein ganz neuer Schreibstil bei uns !

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80 Millionen Deutsche können nicht bergsteigen

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Wir können es auch nicht, aber wir versuchen es wenigstens !
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hawkeye
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Der mit dem süssen schwarzen
Vogel

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Re: Das Winterraumfondue (Wildspitze/Brochkogel II
Antwort #3 - 27.10.2005 um 19:18:44
 
Wirklich klasse, was der Vogelfreund da verfasst hat.

Neue Berichteschreiber braucht die Sektion.  Zwinkernd
Mehr davon!
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datschigs Grüssle
 
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Lisanne
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Re: Das Winterraumfondue (Wildspitze/Brochkogel II
Antwort #4 - 31.10.2005 um 13:02:07
 
Wirklich ein herrlicher Bericht mit erstklassiger Bildeinlage. Endlich mal wieder eine neue Schreibe, die wir hoffentlich noch oft zu lesen kriegen.

Gruß

Lisanne
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G
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Re: Das Winterraumfondue (Wildspitze/Brochkogel II
Antwort #5 - 31.10.2005 um 17:54:09
 
ein neuer stil, ein neuer stil - mehr davon!
danke für den bericht und die herrlichen fotos *schwelg*

gruß
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