Bergwaldaktion an der Weisswand

 

Trotz heftiger Diskussion - oder gerade deshalb - ist ein Häufchen Aufrechter dem Aufruf des Muttervereins gefolgt und will für 2 Tage im Dienste der Natur den Buckel krumm machen. Je näher der Termin rückt, desto lichter werden die Reihen. Zum Schluss ist das Team der SAN auf einen kümmerlichen Rest von 2 Personen zusammengeschrumpft.

In der Früh um 6 klaube ich Scrat in Haar auf und wir fahren gemütlich zum Treffpunkt, der laut detaillierter Lageskizze oben am Wachterl an der Schwarzbachwacht, auf dem halben Weg zwischen Schneizlreuth und Ramsau liegen soll.

Schon bei der Zufahrt von Reichenhall oder Traunstein teilt ein nicht zu übersehendes Schild den Auto- und Motorradfahrern mit, dass hier mit Mitteln des Freistaates Bayern unter Federführung von usw. usw. „So weit oben angesiedelt ist das Projekt?“ denke ich mir, werde aber im Laufe der folgenden 2 Tage eines Besseren belehrt. Das Projekt, für das hier der Freistaat wirbt, hat mir unser Pflanzaktion nur gemeinsam, dass Orkan Kyrill dummerweise ausgerechnet seine Spuren in eben dieser Wand hinterlassen hat, in die seit Jahren Millionen von Steuergeldern investiert und am lebenden Objekt die aktuellsten Trends der Lawinenverbauung getestet werden.

Auffallend sind dabei vor allem die erst kürzlich erstellten hohen Zäune direkt oberhalb der B301. Diese sollen keine Lawinen, sondern den allfälligen Steinschlag von der Straße fernhalten. Wer genauer hinschaut, bemerkt an vielen Stellen, dass sie ihren Zweck durchaus erfüllen.

Pünktlich um 8 sind wir am Treffpunkt. Schnell findet sich der Pflanztrupp zusammen, der an diesem Wochenende aus allen Teilen Bayerns angereist ist und 2 Mitarbeiter der zuständigen Forstbehörde geben uns einen kurzen Überblick darüber, was uns in den nächsten 2 Tagen erwartet.

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Mittlerweile hat der leichte Nieselregen aufgehört und lässt darauf hoffen, dass der Wetterbericht recht behält und es den Rest des Tages trocken bleibt.

Nun geht´s los in die Wand. Auf dem breiten Wanderweg vorbei am Klettergarten, der vom Wasserwirtschaftsamt als Materiallager für die Lawinenverbauung genutzt wird, erreichen wir nach einer Viertelstunde unseren Einsatzort. Nur wenige Meter oberhalb des Wegs hat Kyrill zugeschlagen und großflächig den Waldbestand niedergemäht. Lediglich einzelne Buchen haben dem Sturm wenngleich nicht unbeschadet standgehalten. Die flachwurzelnde Fichte fiel ausnahmslos dem Sturm zum Opfer.

Umso überraschender, dass sich in dem Pflanzgut, das in Kisten für uns bereit steht, auch Fichten befinden.

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Warum das so ist, ist rasch erklärt. Bei der Auswahl der Pflanzen setzt man auf Altbewährtes, der Wald soll behutsam zu einem bunten Mischwald ‚umgebaut’ werden. Und in dem hat auch die Fichte ihren Platz, trotz der augenscheinlichen Sturmanfälligkeit. Fichte und Tanne sind nämlich, was den Lawinenschutz angeht, unübertroffen. Beide sind auch im Winter voll benadelt und sorgen dafür, dass der Schnee quasi mit zeitlicher Verzögerung zu Boden fällt. Zwar behält auch die Kiefer ihre Nadeln, allerdings hat sie vor allem im Alter längst keine so dichte und tiefreichende Krone wie Fichte und Tanne. Aber da könnte doch wenigstens die Fichte durch die Tanne ersetzt werden? Nicht ganz, denn die Tanne schmeckt einfach zu gut und ist damit dem winterlichen Wildverbiss besonders ausgeliefert. Das 4. Nadelgehölz im Bunde ist die Lärche, die zwar nur sommergrün ist, dafür sich aber in der Jugendphase durch ein besonders rasches Wachstum auszeichnet, schnell über das Gras hinausragt und gut den gleitenden Schneemaßen trotzen kann. Zu den 4 Nadelgehölzen kommt ein Laubgehölz: Die Buche. Kein Ahorn, keine Vogel- oder Mehlbeere? Auch das ist beim Gang über die Fläche schnell erklärt. Ahorn und Vogelbeeren finden sich auf den Sturmflächen sehr schnell natürlich ein. Wurden diese Pflanzen vor dem Sturm durch das dichte und dunkle Nadeldach der Fichten am Wachstum gehindert, so können sie nun durchstarten.

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Soweit zur Pflanzenauswahl. Die Pflanzen selbst sind 3-jährige Containerpflanzen und gut eine Handspanne hoch. Jetzt fragt sich natürlich der Gärtner, woher kommen die 40.000 Pflanzen, die an der Weißwand ihr neues Zuhause finden sollen, wenn doch der Sturm erst von 9 Monaten wütete. Außerdem darf für Höhenlagen nicht einfach jede Pflanze verwendet werden. Nein! Sie muss auch ihre Wurzeln oben am Berg haben - will sagen, aus alpinem Saatgut gewonnen werden. Die Erfahrungen zeigen, dass Bäume, deren genetisches Material aus dem gleichen Gebiet stammt, also autochton sind, besonders gute Chancen im Kampf gegen den Unbillen der Natur haben.

Also woher kamen die Pflanzen, wo doch Forstbaumschulen nicht unbedingt mit dem inneren Auge gesegnet sind? Ganz einfach, sie wurden aus allen schon längerfristig geplanten Aufforstungsaktionen zusammengezogen. Dort wird der Berg noch ein bisschen warten müssen.

40 ha ist die Fläche groß, die wir mit Hacken und den durchnässten Pflanzen bewaffnet in Angriff nehmen. Der Pflanzabstand beträgt ca. 50 cm, bei den starkwachsenden Lärchen darf es gerne auch 1 m und mehr sein. Allerdings wird nicht wie in der Baumschule dicht an dicht gepflanzt. Ganz selektiv gehen wir vor, damit dem Nachwuchs die besten Überlebenschancen gegeben sind. Hauptfeind ist neben dem Wild nämlich der Schnee. Genauer gesagt der Gleitschnee, der im nächsten Winter entweder die ganze Pflanze mitsamt dem Wurzelballen aus dem mühsam gegrabenen Loch heraus zieht oder sie regelrecht köpft.

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Deshalb wählen wir sorgsam Stellen knapp unterhalb von Wurzelstöcken oder Felsen, weil sich darüber nur wenig Schnee sammeln kann, der dann dem jungen Baum gefährlich wird. Nun gilt es das Pflanzloch frei zu hacken. Im steinigen, mitunter auch felsigen Boden nicht immer eine leichte Aufgabe. Immerhin muss so ein Loch gut 15 cm tief und ausreichend groß sein, damit der Baum gut Wurzeln schlagen kann. Scrat überlässt nach den ersten mühsamen Versuchen diese Aufgabe gerne mir. So suche ich die geeigneten Plätze und wühle mich durchs Erdreich, während Scrat die nicht weniger anspruchsvolle Aufgabe hat, ausreichend Humus zusammenzuscharren und den jungen Bäumchen sorgsam das Bett zu bereiten. Gedüngt und gegossen wird nicht, die Bäume müssen von nun an auf eigenen Beinen stehen.

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Gepflanzt wird auch nicht kunterbunt durcheinander, wie man es sich beim Ziel, einen Mischwald zu formen, vielleicht denken könnte, sondern immer 20 bis 30 Pflanzen einer Art in einem zusammenhängenden Gebiet. Gemischt wird dann selber. Das ist jetzt nicht wie beim Bäumchen-wechsel-dich. Im Verbund haben die Pflanzen einfach ein größere Chance zu überleben und da von 5en ohnehin nur eine die ersten schwierigen Jahre überstehen wird und sich mit Ahorn, Vogelbeere, Mehlbeere und Kollegen ohnehin noch zusätzliche Arten im Gebiet entwickeln, sind das erfahrungsgemäß die besten Voraussetzungen für einen gesunden und standortgerechten Wald.

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Als ich kurz Pflanzennachwuchs hole, macht sich ein für Scrat ungebetener Gast in einem Pflanzloch breit. Ihren Schreckensschrei kann ich zwar nicht hören aber gut vorstellen. Eine dicke Erdkröte hat sich ausgerechnet den auserwählten Platz für ihr Winterquartier ausgesucht. Jetzt muss sie leider umziehen.

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Um 4 ist Feierabend. Genug für heute. Zu zweit haben wir immerhin 60 Bäume gesetzt - innerhalb der einwöchigen Aktion werden es insgesamt 4000 sein, also 10% der gesamten Menge, die für die Weißwand vorgesehen ist. Profis im Akkord schaffen da natürlich wesentlich mehr - die bekommen aber auch 2,50 € fürs Stück, wir nur schmerzende Schultern.

Und damit die Profis nichts an dem Werk der Laien auszusetzen haben, wird auch unser Pflanzergebnis sorgsam geprüft und gegebenenfalls müssen wir nachbessern.

Übernachtet wird in einer sehr einfachen aber nicht minder romantischen Forsthütte an den Steilabfällen der Reiteralm. Ohne Strom aber dafür mit Plumpsklo dahinter und fließend kaltem Wasser davor. Ein großer Holzherd sorgt schnell für wohlige Wärme und mit Bluff, 6 nimmt und MamaMia wird auch für die jüngsten Teilnehmer der Abend viel zu kurz.

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Der Sonntag erwartet uns mit Sonnenschein. Als ‚Belohnung’ ist heute schon um 12 Uhr Schluss, dafür führt uns der Förster ein Stück die Weißwand entlang und zeigt uns die Arbeiten, die Wasserwirtschaftsamt und die Forstbehörden hier unternommen haben.

Grund für diese Arbeiten ist nun keineswegs originär der Bergwald, sondern die Schutzfunktion die ihm für die unten im Tal laufende Bundesstraße verbindet. Wäre ein durchgehender lawinensicherer Ausbau der Straße mit Tunneln und Galerien nicht um ein Vielfaches teuer, man hätte von Staats wegen keinen Cent in die Schutzwaldsanierung gesteckt. Man kann dies am gegenüberliegenden Hang sehr gut beobachten.

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Wo keine Straße verläuft, lässt man der Natur freien Lauf. Auf der orographisch rechten Hangseite werden jedoch die Lawinenstriche, deren es über die ganze Wandlänge 23 gibt und die, beginnend am Wachterl durchnummeriert,

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von den Felsabbrüchen des Lattengebirges bis zur Straße hinunter mit dynamischen Lawinennetzen abgesichert sind. Dies ist Aufgabe des Wasserwirtschaftsamtes, nicht des Forstes, und verschlingt ein Vielfaches der Forstinvestitionen. Die Lawinenstriche wurden z.T. ehemals zur Holzabfuhr verwendet und dadurch noch breiter und gefährlicher. Die Förster gehen davon aus, dass trotz Schneeberuhigung mit den Lawinennetzen - die keine Lawinen auffangen, sondern ihre Entstehung verhindern sollen - auch auf Dauer kein ausreichend stabiler Wald diese Aufgabe übernehmen kann.

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Eine ähnliche Funktion wie die Netze, erfüllen im licht werdenden Bergwald Böcke aus Hartholz,

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deren Aufgabe es ist, den Schneeflächenaufbau zu stören und so die Auslösung von Lawinen zu verhindern. So ein Bock kostet 400.- €, wird mit dem Heli eingeflogen und muss, soll er seine Wirkung voll entfalten, in einem maximalen Abstand von 5 Metern gesetzt werden. Keine billige Sache.

Weiter oben stoßen wir auf entrindete Fichtenstämme. Entrindet deshalb, damit dem Borkenkäfer keine Chance zur Vermehrung gegeben wird. Glaubt man den Experten, so fallen dem Folgeschädling genauso viel Bäume zum Opfer, wie zuvor durch den Sturm gefällt wurden. Gleichzeitig sind diese Stämme ein Paradebeispiel für eine fehlgeleitete Forstreform.

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Für das Holz im Wald sind nämlich die betriebswirtschaftlich organisierten Forstbetriebe verantwortlich. Aus dem Bruchholz lässt sich kein Kapital schlagen. Wenn es im Wald verbleibt und deshalb entrindet werden, muss bekommt der Betreib dafür einen finanziellen Ausgleich. Dafür wird der Stamm vermessen und dokumentiert. Diesen Ausgleich zahlt die Forstbehörde. Damit die nicht übers Ohr gehauen wird, werden die Stämmen kontrolliert. Und damit sich die ehemals gut bekannten Mitarbeiter beider Institutionen nicht gegenseitig das Geld zuschieben, gibt es eine zusätzliche übergeordnete Kontrollinstanz. All das zahlen wir und all das bindet Kräfte, die an anderer Stelle dringender gebraucht würden.

Der Abstieg erfolgt direkt neben einem der abgesicherten Lawinenstriche im Steilwald.

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Während der Förster behände zu Tal springt, rutschen wir vorsichtig von Stamm zu Stamm. Ein Sturz hätte trotz der Fangnetze üble Folgen. Dann ist auch dieses Hindernis überwunden.

Zurück am Wanderweg treffen wir auf eine Eselsgesellschaft, die ihr ‚Frauchen’ bei den Wanderungen im Lattengebirge begleitet.

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Drüben am Wachterl entstand gestern dieser Dachstuhl für die Erweiterung eines KFZ-Betriebes. Offensichtlich ist man dort guter Hoffnung, dass sich eine Sperrung wie in diesem Jahr nicht mehr wiederholen wird. Und dafür haben wir jetzt oben an der Wand die Bäume gepflanzt?

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So bleiben die Gefühle auch mit dem neu erworbenen Wissen zwiespältig. Einerseits war es eine aufregende neue Erfahrung und es ist gut zu wissen, dass und wie man im Schutzwald aktiv werden kann.

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Andererseits dient die ganze Sache ja vornehmlich dazu, dass Ausflügler und Pendler diese landschaftlich sehr eindrucksvolle, aber durchaus entbehrliche Strecke weiterhin unbeschwert befahren können und Wirt und SUV-Händler oben am Wachterl auch in Zukunft ihr Ein- und Auskommen haben.

Strauchdieb

obadoba, 18.04.2019 10:56