7:27 Uhr weil es hier so steil ist und die Waden bereits brennen schlagen wir uns eine erste Trittstelle in der Gurgel in das harte Firn- Eisgemisch. Und jetzt warten auf die anderen, die noch etwa 100 m unter uns sind. Also genügend Zeit mal einen Schluck zu trinken und an die Kosmetik auf Tour zu denken. Aber das Wasser im Rucksack ist bei mir fast eingefroren, im Camelbag von Daniel ist eh nur noch Eis vorhanden – sackkalt hier! Der Lippenstift so hartgefroren das man denkt man küsst ein Sägeblatt. Das sollte auch die letzte Rast des ganzen Tages bleiben.
Als die anderen dann auch bei uns eingetroffen sind kommen unvermeidlich die Überlegungen ob wir es riskieren können weiterzugehen oder ob wir umdrehen. Noch wenige Meter weiter und dann wird eine Umkehr ein ernstes Unterfangen und garantiert nicht billig da wir allesamt mit High-End – Eisschrauben aus französischer und italienischer Produktion ausgestattet sind (Kosten pro Stück so zwischen 50 bis 70 Euro) und mit einer kommen wir gerade einmal 60 m runter. Ein wirkliches Ergebnis finden wir nicht, die Verlockung jetzt noch ungefähr 450 hm zum Gipfel zu haben steht immer im Gegensatz zur Angst das es oben Orientierungsschwierigkeiten geben könnte. Hier passiert uns unser erster Fehler: Wir können uns nicht entscheiden und verschwenden dadurch viel zu viel Zeit.
Als Daniel dann vorgeht um sich das weitere Gelände etwas anzusehen folgen wir ihm in wenigen Metern Abstand und somit ist auch diese Entscheidung getroffen – Es geht weiterhin nach oben. Bereits nach 5 m stellt sich aber die Wand zum ersten mal richtig auf, vielleicht so 65 Grad, Blankeis und wir vier noch seilfrei unterwegs.
Plötzlich, mein Eisgerät rutscht, es kracht und eine riesige Eisscholle bricht mitsamt dem Teil aus. Jetzt bloß nicht das Gleichgewicht verlieren, der Arm taumelt völlig unkontrolliert nach hinten – aber der Dreipunktehaltung sei Dank – ich kann mich halten. Erst mal tief Luft holen und ein kurzer Blick nach unten, doch was sehe ich da?
Patricia ist so nahe zu mir aufgeklettert das ihre Eisgeräte jeweils links und rechts meiner Knie sitzen, Ralf dahinter ebenso dicht dran. Auweia, wenn ich jetzt abgegangen wäre… Keine Chance für die beiden andern!
Ok, beruhigen, Fassung bewahren und weiter geht’s, aber wohl fühle ich mich hier ohne Seil nicht mehr. Bei erstbester Gelegenheit wird Stand gebaut und ab da gesichert. Ralf und Patricia dürfen die erste Seilschaft bilden, Daniel und ich die zweite. Und weil es gleich so schön passt darf ich auch gleich die erste SL vorsteigen. Steilheit etwa 60 – 65 Grad, und perfektes Eis, nur was ist plötzlich los mit mir, ich bin nicht frei im Kopf, ich habe Angst und verkrampfe total. Naja ich hab ja dann eine SL zum Nachsteigen da wird das schon wieder werden. Hmmm verkrampfen ist das richtige Stichwort, wieso hab ich eigentlich ausgerechnet jetzt einen Krampf in der Wade? Und warum kurz später ebenso im Fuß? Mit quälenden Schmerzen bring ich meine SL zu Ende und freu mich auf das Frieren am Stand mit dem Nachstieg im Anschluss. Daniel steigt die SL souverän und problemlos vor, allerdings auch leicht flacher, so etwa 60 Grad. Im Nachstieg nach wenigen Metern, der scheiXX Krampf ist schon wieder da, zum heulen das ganze, aber aufgeben? Niemals!
Meine kleine Bitte das Daniel mir die eine SL abnimmt und wiederholt vorsteigt nimmt er gerne an und los geht’s: Tschock… Tschock… Tschock…
Im weiteren Verlauf zeigt sich das es für heute für mich alles war was ich an Vorstieg leisten konnte und ich muss Daniel richtig danken das er mir alles souverän vorgestiegen ist. Schade, ich hätte gern die ein oder andere SL mehr vorgestiegen, aber da wollte mein Körper einfach nicht mit machen. Weiter mal steiler, mal weniger steil, kommen wir immer höher SL um SL wird geklettert, ja wir geraten richtig in den Rausch des Tschock… Tschock… Tschock…
Der erste Wulst ist überwunden, die Schwierigkeiten lagen im Machbaren, der zweite sieht auch nicht steiler aus, also sei ein kurzer Blick auf die Uhr erlaubt:
WAS!?!? Schon 11 Uhr vorbei? Aber egal, vielleicht noch eine Stunde dann sind wir oben, nur der Höhenmesser spricht eine andere Sprache, aber der spinnt sowieso öfters mal.
Der zweite Wulst liegt hinter uns und der Ausblick auf den Dritten verheißt nichts gutes, die Schlüsselstelle dieser Wand liegt wirklich hier oben nach dieser langen und anstrengenden Kletterei? Aber was soll´s, jetzt müssen wir durch!
Andy, der während der ganzen Zeit immer leicht versetzt von uns geklettert ist wählt eine nahezu senkrechte Passage für diesen Wulst und stöhnt als ob er soeben mit mehreren Bären gleichzeitig kämpft, der Abstand der Eisschrauben beträgt jetzt nur mehr 2 bis 3 m, noch vor wenigen Minuten wurden die SL teilweise mit nur einer Zwischensicherung erklettert.
Ralf der uns immer die Zwischensicherungen überlässt wählt eine etwas freundlichere Alternative, so 75 Grad, vielleicht kurz mal etwas mehr. Das Eis fliegt mit dem typischen Surren oftmals nur wenige cm an mir vorbei, jedoch erleide ich den ganzen Tag über nur 3 schmerzhafte Schläge jeweils auf die Hand. Viel schmerzreicher sind die eiskalten Füße und die vor Kälte fast tauben Finger. Die Ersatzhandschuhe reichen zwar für einen Wasserfall bei -20°C im Sellrain, aber hier sind sie um vieles zu kalt. Also muss ich mit meinen ganz warmen, in der Zwischenzeit an einem Finger aufgerissenen, Handschuhen weiterklettern.
Endlich! Das Wandende ist in Sicht, aber - oh Gott - wie viele SL werden das jetzt wohl noch sein?
Eins? Zwei? Zwei alleine sind leicht ansteigend zu queren, und dann noch einmal zwei? Drei?
ICH WILL HIER RAUS!!!
Die Füße schmerzen vor Kälte, die Zehen sind blau wegen dem vielen Einschlagen der Steigeisen (die Nägel wird ich wohl demnächst meistbietend bei ebay versteigern können).
Die Handschuhe sind steifgefroren, der Spindrift macht mich wahnsinnig und ich bin so müde ich könnte über dem Gehen einschlafen. Übel ist mir zudem und sowieso warum macht man so einen verfluchten Scheiß, ein Arbeitskollege von mir sitzt gerade in der Domrep wohl am Meer und trinkt in Badehosen eine Pinacolada…
Aber es hilft nichts, ich muss weiter, ich habe Durst, alles Trinkbare ist eingefroren, ach allmählich kommt der Schwur das ich das nie wieder tue. Ich will in die Sonne, ich will Wärme, ich möchte hier nicht sterben, warum hat nur noch niemand das Beamen erfunden? Aber überglücklich bin ich schon wenn ich mal für 1 Minute meine Füße wieder auf eine gerade Stelle stellen darf, mehr will ich eigentlich nicht mehr.
Letzendlich nach weiteren vollen 4 SL gelangen wir ohne jede kraft in den Armen auf einen Grat der wohl zum Gipfel führt. Aber es ist 16.00 Uhr, wir müssen jetzt noch in der Wand diesen Grat verdammt lange queren weil wir oben wegen ein paar kleinerer Wechten von einigen Metern nicht gehen können. Und immerhin sind es laut diesem total versagenden Höhenmesser ja noch 180 hm bis zum Gipfel.
Patricia und Ralf gehen vor um möglichst viel Zeit oben am Gipfel zu verbringen, damit wir hoffentlich die Abstiegsrinne finden. Daniel und ich folgen in wenigen Metern Abstand. Aber das Gelände, immer noch so 65 Grad steil und meine seit einigen SL beiden krampfenden Waden zwingen mich dazu wieder zu sichern und alles zu verlangsamen. Aber in einer SL ist das auch vorbei. Endlich, das Seil kommt jetzt erst mal in rucksack und weiter gehts relativ eben.