Erfahrungen einer 4.000er-Novizin oder Phantom-Bergsteigen im Berner Oberland
19.08.-23.08.2006


Tag 4 - Dienstag, 22.08.2006

Die Nacht war überraschend gut, aber kurz. Der Hüttenwirt kommt um 4h30 ins Lager und dreht das Licht an, falls irgendjemand seinen Wecker überhört haben sollte …
Nach einem kargen Frühstück gehen wir los, wir gehören zu den letzten Seilschaften, die starten, aber wir haben auch keinen großen Zeitdruck.

Wie Glühwürmchen wandern die Stirnlampen der Bergsteiger Richtung Gletscher, zunächst geht es am Blockgrat weiter, das Wetter ist fantastisch, kaum eine Wolke am Himmel, die Bedingungen sind 1a …

Am Anseilplatz angekommen, wird es langsam heller, die Stirnlampen können wir wegpacken.

© Pet 2006
Weissmies bei Sonnenaufgang

Zum ersten Mal kommt der Gipfel in Sicht …

© Yak 2006
Links Lenzspitze, rechts das Nadelhorn

… aber man sieht auch, dass das Windjoch seinem Namen offensichtlich alle Ehre macht …

© Pet 2006
Das Windjoch

… und auch am Grat zum Nadelhorn sieht es nicht so prickelnd aus …

© Pet 2006
Sturm am Nadelhorn

Schon am Vortag war der Wind recht stark und die Tour grenzwertig, wie uns ein paar der Absteigenden erzählt haben. Aber heute hat er noch eins draufgesetzt. Er scheint ganz schön wütend zu sein, immer wieder fegen Sturmböen über uns, alle Seilschaften scheinen abzuwarten, ich muss alle paar Schritte meinen Pickel in den Schnee rammen und mich zusammenkauern. Ich hab wirklich Angst, dass es mich vom Berg fegt.

© Yak 2006
Ich will nur noch weg hier …

Wir drehen um, wie auch einige der Seilschaften vor uns, zurück am Anseilplatz warten wir ab, die Sonne steigt, normalerweise sollte sich der Wind jetzt legen … tut er aber nicht!

© Yak 2006
Immer noch nicht wirklich gemütlich!

Etwas entnervt machen wir uns an den Abstieg.

© Yak 2006
Rückzug bei sonst perfektem Wetter …

Auf der Hütte machen wir eine ausgiebige Pause, und da treffen auch noch unsere beiden Freunde vom Vorabend ein. Sie haben versucht, weiterzukommen, aber am Windjoch wurden wie buchstäblich zurückgeblasen, es hat einfach nicht sein sollen.

Also machen wir uns an den Abstieg, zunächst ist der Klettersteig zu bewältigen, der mir am Ende gar nicht mehr so gefällt. Der Boden ist leicht rutschig, es wird immer schmieriger, der Rucksack, die Stöcke, der Pickel, irgendwas bleibt ständig irgendwo hängen - langsam versteh ich die Klettersteigsets …
Das mulmige Gefühl ist nicht grundlos, am nächsten Tag stürzt hier im unteren Teil des Klettersteigs ein 62jähriger Brite tödlich ab …
Unten erfahren wir, dass der Klettersteig erst vor einigen Jahren gebaut wurde, weil auf dem alten Hüttenaufstieg immer wieder Unfälle durch Steinschlag passiert sind. Die Bergführer nutzen allerdings noch den alten Weg. Werden wir beim nächsten Mal auch tun.

Der Steig geht natürlich auch ordentlich an die Knie, aber wir kommen endlich runter, nach 2.000 Höhenmetern Abstieg ist man froh, wieder im Tal zu sein und eine Bank in der Sonne kann ja so was Schönes sein!

© Yak 2006
Endlich! Beine ausstrecken und Schuhe ausziehen!

Aber der Tag ist noch nicht zuende … Wir lümmen in Saas Fee in der Sonne rum und versuchen eine Entscheidung zu treffen. Morgen ist unser letzer Tag hier, Donnerstag müssen wir beide wieder arbeiten… Aber der Wetterbericht für morgen ist genial, es soll der beste Tag der Woche werden. Also was tun? Sollen wir wirklich heute noch nach Hause fahren? Oder nochmal ein Zimmer nehmen, morgen in Ruhe all die Dinge einkaufen, die man aus der Schweiz gerne mit heimbringt und dann gemütlich heimfahren?

Yak bringt das Weissmies ins Spiel… ich weiß nicht, ich hab noch einen Unfall dort im Ohr, und überhaupt, meine ersten 4.000er und beide mit Seilbahn? Irgendwie will ich doch nicht in Lisannes Domäne eindringen …

Eine Möglichkeit gibt es noch. Den Alphubel. Rüber ins Zermatter Tal, hochfahren zur Täschalp und von dort zur Täschhütte aufsteigen, sind nur 500 Höhenmeter … Der Aufstieg zum Gipfel morgen dann nur etwa 1.500 Höhenmeter … und danach noch heimfahren …
Für sowas sind wir doch zu alt, oder? Aber irgendwie lockt mich dieser Berg schon die ganzen letzten Tage, immer wieder hat er sich durch die Wolken gezeigt, reizt mich einfach. Na gut, dann machen wir das halt!

Wir fahren nach Täsch, kaufen noch was ein, denn zum Nachtessen kommen wir sicher nicht mehr rechtzeitig auf die Hütte, und fahren hoch zur Täschalpe. Hier gönnen wir uns noch ein wirklich massives Essen - wir machen den Fehler, zwei Essen zu bestellen, einmal Walliser Schnitte und einmal Rösti. Beides superlecker, aber eins davon hätte locker für uns beide gereicht. Danach sind wir erstmal ordentlich gestopft, aber nützt ja nix, wir müssen unsere Rucksäcke noch zur Täschhütte hochwuchten … Gegen 18h marschieren wir los, Yak verspricht mir noch den Sonnenuntergang auf der Terrasse der Täschhütte. Mal sehen. Im Moment lauf ich wie mit Scheuklappen dahin.

 © Yak 2006
Spachteln auf der Täschalp (Europahütte)

© Pet 2006
Am Wegrand wächst Edelweiß wie Unkraut - auch eine Premiere für mich, in den bayerischen Bergen kenne ich nur Bestände, die angepflanzt wurden.

Auf dem Weg lernen wir noch Susan und Bernhard kennen, Susan ist auch 4.000er-Neuling, da haben wir doch direkt was gemeinsam! Wir unterhalten uns auf der Hütte noch ein wenig, den Sonnenuntergang bekommen wir tatsächlich auch noch mit, und kurz darauf geht es ab ins Bett, morgen wird ein langer Tag!

© Pet 2006
Sonnenuntergang am Nordend

 

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